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Frau HR Dr. Ilse Dosoudil

Direktorin der UB Wien von 1993 bis 2003

Interview mit Frau Hofrätin Dr. Ilse Dosoudil am 13.7.2005

Frau Dr. Dosoudil, Sie haben 1963 an der Universitätsbibliothek zu arbeiten begonnen, wussten Sie, dass Sie zur Bearbeitung der Sammlung Tanzenberg aufgenommen wurden?
Ich wurde für den Bibliotheksdienst mit einem unbefristeten Vertrag aufgenommen, ich wusste nicht, dass ich für die Sammlung Tanzenberg aufgenommen wurde.
An meinem ersten Arbeitstag führte mich der Direktor in die Räume der heutigen Titelaufnahme zu einem riesigen Berg verschmutzter mit Schnüren verpackten Bücher.
Frau Dr. Winkler erklärte mir die Unterschiede von Einzelwerken, Reihen und Zeitschriften.
Ich musste die Pakete aufschnüren und nach den zuvor genannten Kriterien auf dem Boden aufschlichten. Für diese Tätigkeit brauchten wir einige Monate. Zwei Wochen nach mir begann auch Frau. Dr. Wehrmann.
In der Zwischenzeit mussten wir auch in anderen Abteilungen, wie z.B. in der Erwerbung, arbeiten, damit wir die Bibliothekstätigkeiten erlernen konnten.
Zuletzt wurden die Zeitschriften bearbeitet.
Die Bibliothek hätte das neue Institutsgebäude erhalten sollen, allerdings wurde das von der Universität in letzter Minute umgeplant und die Institute sind eingesiedelt.
Die Bibliothek hat Räume erhalten, so war das jetzige Zeitschriftenzimmer der Anglistikseminarraum.
Der Umbau war schon bewilligt, aber die Räume waren noch nicht umgebaut. Die Übergangsfrist bis zum Umbau wurde verwendet, um diese Büchermassen aufzuteilen, weil sonst kein Platz vorhanden war.
Ursprünglich waren die Bücher am Heldenplatz, dann wurden sie im Keller der Universitätsbibliothek gelagert und von dort zur Bearbeitung geholt. Die Grobsortierung der Sammlung Tanzenberg dauerte bis Oktober 1963. Die Zeitschriften mussten alphabetisch geordnet werden.
Mit Hilfe des ZAZ musste ich ausrechnen wie viel Prozent jeder Buchstabe benötigt. Mit einem Maßband musste ich die Meter in den untern Räumen ausmessen und die Zeitschriften dann entsprechend ordnen. Darunter gab es auch viele Mehrfachexemplare von Zeitschriften wie z.B. den Völkischen Beobachter. Es war überhaupt sehr viel Nazi-Literatur dabei.
Die Zeitschriften wurden nach dem Ordnen und in den Katalogen überprüft, ob der Bestand komplett vorhanden ist, bzw. ob der vorhandene Bestand ergänzt werden muss. Die Dubletten wurden an Antiquare verkauft bzw. im Tausch oder wurden makuliert und als Altpapier verkauft.


Im Übernahmeprotokoll steht eindeutig treuhändige Übernahme. Warum durften manche Werke verkauft werden?
Das hat der damalige Direktor Dettelmeyer mit dem Ministerium ausgemacht. Von selber konnte er das nicht machen, weil wir dem Rechnungshof unterstanden.
Ich glaube es gibt irgendwo ein Schriftstück, wo es heißt: "...die Universitätsbibliothek ihre Kriegsschäden abdecken soll..." Es ist eine unklare Sache gewesen. Was hätten wir mit den Dubletten machen sollen? Die Bibliothek litt unter großer Raumnot.

Warum wurden die Bücher in den 60er Jahren als Eigentum betrachtet?
Ich glaube, dass der Bestand in den 60er Jahren als Eigentum betrachtet wurde und daher hatte Herr Direktor Dettelmeyer die Dubletten usw. verkauft.
Meine Tätigkeit an der Sammlung Tanzenberg bestand in der Sortierung. Mit der Katalogisierung waren auch andere KollegInnen beschäftigt. Im Zuge meiner Ausbildung und des Katalogsaaldienstes haben wir immer wieder Bücher zum Nachsehen erhalten, ob sie an der UB vorhanden waren. Der Bestand wurde dann ganz sukzessive aufgearbeitet, vor allem in den Ausbildungskursen wurden diese Büchern katalogisiert. Eine rasche und zügige Bearbeitung war aus personellen Gründen nicht möglich, schließlich mussten die Neuerwerbungen bearbeitet werden. Zusätzliches Personal konnte aus finanziellen Gründen nicht eingesetzt werden.

Haben Sie erfahren woher die Bücher kamen?
Wir haben nur erfahren, dass die Bücher aus Tanzenberg gekommen sind. Das muss in den letzten Kriegstagen gewesen sein. Per Zug haben die Engländer die Bücher nach Wien geschafft. Danach kamen die Verhandlungen mit Israel. 1/3 hat Jerusalem und 2/3 haben wir erhalten. So wurden die mehrbändigen Werke zerrissen. Diese Bände sind in der Makulatur gelandet. Es waren sehr viele Lexika, wie z.B. Meyer, Brockhaus usw.
Im Schloss Tanzenberg soll eine NAPOLA Hochschule (Nationalpolitische-Erziehungsanstalt) gewesen sein, die eine umfangreiche Bibliothek besessen haben soll. Der Bestand hatte sich aus requirierten Büchern und NS-Literatur zusammengesetzt. So gab es viele Exemplare von "Mein Kampf" und ähnlichen Werken. Diese Bücher sind gleich weggekommen.

Was können Sie und von Stempel Tanzenberg sagen?
Manche Bücher hatten so einen Stempel Tanzenberg mit einem Hakenkreuz.

Sie sprachen von einem Stempel mit Hakenkreuz?
Ich glaube es war ein Stempel mit Hakenkreuz

Wissen Sie wann der Stempel angefertigt wurde?
Es kann sein, dass der Stempel anfertigt wurde wie wir die Sammlung übernommen haben. Das weiß ich nicht. Ich habe nicht gestempelt. An ihn erinnere ich mich nur von den Büchern, die ich bearbeitet habe und er war nicht in jedem Buch vorhanden. Ich glaube, dass die Bücher im Inventarbuch nicht gekennzeichnet wurden.
Ich kann mich erinnern, dass eine Unmenge von zionistischen Andachtsbüchern, wie unsere Gebetsbücher, in verschiedenen Ausgaben vorhanden waren. Ich weiß nicht, was mit diesen Büchern geschehen ist.

Haben Sie hebräische Bücher gesehen?
Hebräische Bücher habe ich etliche gefunden. Diese wurden extra sortiert. Ich bin überzeugt, dass diese nicht in unseren Bestand aufgenommen wurden.

Kann es sein, dass diese Bücher nach Jerusalem geschickt wurden?
Das kann möglich sein.

War die Aufteilung der Bücher zwischen Jerusalem und Wien bevor oder nachdem Sie an der UB begonnen haben?
Die Aufteilung war vor 1963. Der uns zugesprochene Teil wurde nicht gleich bearbeitet. Die Bücher wurden im Keller gelagert. Die Bibliothek erhielt durch den Neubau des NIG Räume von ausgezogenen Instituten. Vor dem Umbau dieser Räume konnten die Bücher dort sortiert werden. Diese Aufarbeitung hat der damalige Direktor Dettelmayer genützt um Personal anzufordern.

An den Abschluss der Bearbeitung der Sammlung Tanzenberg kann ich mich nicht mehr erinnern. Diese Aufgabe hatte die Katalogisierungsabteilung übernommen.

Warum wurde in einer Referentensitzung aus dem Jahr 1969 zur beschleunigten Liquidierung und Großzügigkeit bei der Auswahl der Tanzenberg-Bestände empfohlen?
Wertvolle Bücher waren in der Sammlung Tanzenberg nicht vorhanden und wir benötigten den Platz für den Bücherzuwachs.

Sind Sie als Direktorin nochmals mit der Sammlung konfrontiert worden?
Eigentlich nicht, da ich es aufgrund der Aktenlage als erledigt betrachtet habe. Es gibt Schriftstücke, in denen die Universitätsbibliothek Jerusalem, die Jüdische Gemeinde Wien und die Universitätsbibliothek Wien die Aufteilung der Sammlung als abgeschlossen erklären. Ich sah auch keine Möglichkeit unsere Bestände durchzugehen, weil diese Bücher ja nicht gesondert aufgestellt wurden. Außerdem haben wir sicher keine wertvolle Bücher erhalten. Wie soll man die einstigen Besitzer eruieren? Das ist praktisch undurchführbar, wenn Sie keinen Besitzvermerk haben.