Charta des Rigas Velestinlis


Die Χάρτα της Ελλάδος (Karte von Griechenland) des Rigas Velestinlis (Feraios) ist ein herausragendes kartographisches Werk der Griechischen Aufklärung. Sie wurde zwischen 1796 und 1797 in 12 Teilen im Format 70x50 cm in Wien gedruckt. Stecher war der Österreicher Franz Müller.

Die Karte umfasst geographisch das Gebiet, das von der Donau im Norden, der adriatischen Küste im Westen, der Insel Kreta im Süden und Westkleinasien und der Westküste des Schwarzen Meers im Osten begrenzt wird. Zusätzlich zu den zeitgenössischen griechischen Ortsbezeichnungen sind die Orte antiker Stätten mit ihren altgriechischen Namen verzeichnet. Zu manchen Orten gibt es außerdem Kommentare zu mythologischen oder historischen Ereignissen.

Das linke untere Blatt ist ein Plan der Meerenge des Bosporus mit einer Ansicht von Konstantinopel und einem Grundriss des dortigen Serails. Weiters abgebildet sind kleinere Pläne von Athen, Olympia, Sparta, Delphi (inklusive einer perspektivischen Ansicht), des Engpasses der Thermopylen, der antiken Schlachten von Salamis und Plataiai sowie von Rigas Heimatort Velestino (dem antiken Pherai). Darüber hinaus sind ein antikes griechisches Theater sowie 161 antike griechische Münzen aus dem Kaiserlichen Münzkabinett in Wien dargestellt. Am oberen und unteren Rand befinden sich eine alphabetische Liste berühmter historischer und mythischer Personen des griechischen Altertums und eine Herrscherliste, die mit Alexander dem Großen beginnt und mit Sultan Selim III. in der Gegenwart endet.

Laut dem Kartentitel dienen die kleineren Pläne dem Verständnis des „jungen Anacharsis“. Rigas war an der griechischen Übersetzung des vom französischen Archäologen und Gräzisten Jean-Jacques Barthélemy verfassten vierbändigen Romans Voyage du jeune Anacharsis en Grèce, dans le milieu du quatrième siècle avant l'ère vulgaire (Paris 1788), welcher großem Einfluss auf den europäischen Philhellenismus ausübte, beteiligt und ließ das Werk im Jahr 1797 in Druck legen. Die Karte, die zum stattlichen Preis von 2 österreichischen Florin pro Blatt (insgesamt 24 Florin) verkauft wurde, ist in ihrer Vielfalt an altertumswissenschaftlichen wie zeitgenössischen Bezügen jedoch keineswegs als reines Begleitmaterial zum Roman aufzufassen.

Die Charta stellt einen Teil des von Rigas im Geiste der radikalen Aufklärung erstellten revolutionären Publikationsprogramms dar. Rigas, welcher Sekretär am fanariotischen Hof der Hospodaren der Wallachei gewesen war, war 1796 nach Wien gereist, um die Drucklegung seiner von den Ideen der französischen Revolution inspirierten Schriften zu organisieren. Im Dezember 1797 wurde er bei der versuchten Ausreise Richtung Peloponnes von der österreichischen Polizei in Triest wegen geplanter revolutionärer Umtriebe verhaftet und in der Folge gemeinsam mit sieben Gefährten ans Osmanische Reich ausgeliefert. Er und seine Mitstreiter wurden in der Nacht auf den 24. Juni 1798 in Belgrad erwürgt. In den Verhörprotokollen der Polizei ist unter anderem auch von der „revolutionären Absicht“ bei der Verfertigung der Landkarte und der Übersetzung des Anacharsis die Rede.

Die Landkarte wird daher als geographische Manifestation der von Rigas projektierten „Hellenischen Demokratie“, einer Verbindung des altgriechischen Vorbilds mit den Ideen der französischen Revolution, interpretiert. Rigas „Hellenische Demokratie“ beschreibt eine Umwandlung des Osmanischen Reichs in eine Demokratische Republik mit allgemeinem Wahlrecht aller Bürger, unabhängig von religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit. Während sich Rigas revolutionäre Schrift Νέα Πολιτική Διοίκησις (Neue politische Ordnung) an die Einwohner Rumeliens, Kleinasiens, der Mittelmeerinseln und der Donaufürstentümer richtet, fehlen auf der Karte jedoch die östliche Hälfte Kleinasiens, Zypern und die Moldau.

Trotz der hohen Auflage von 1220 Stück, von denen ein Teil koloriert war, sind heute nur wenige Dutzend Exemplare der Charta bekannt. Ungefähr ein Viertel der Auflage wurde bei Rigas Verhaftung beschlagnahmt und vernichtet, der Rest vermutlich in den darauf folgenden Jahren. Für die Abbildung auf den Kompaktusregalen wurden die 12 Teile nahtlos zusammengefügt.


Literatur:


Digitalisate sind frei zugänglich bei der Österreichischen Nationalbibliothek , der Harvard Library  (koloriert), der Aristotle University of Thessaloniki  und der Rigas Society  (koloriert).