20. Sammlungstreffen: Herkunftsgeschichten und Erwerbungskontexte von Sammlungsobjekten

Das zwanzigste Sammlungstreffen fand am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft (tfm)  statt. Am 28. Februar 2019 trafen sich an dem neuen Standort dieses Instituts und der Fachbereichsbibliothek, in der "Rotunde" des UZA II (Althanstraße 14), die an dem Schwerpunktthema Herkunft und Erwerbungskontext interessierten Sammlungsleiterinnen und Sammlungsleiter und wurden vom Vorstand des Instituts, Univ.-Prof. Dr. Stefan Hulfeld, freundlich willkommen geheißen. Auch die Sammlungsleiterin, PD Dr.in Birgit Peter und die FB-Leiterin, Dr.in Martina Cuba begrüßten alle Vortragenden, Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zu denen als Gast auch Frau Georgina Schlay von den Sammlungen der ELTE-Universität in Budapest zählte. Sie kündigten eine Führung durch die kürzlich eröffnete Dauerausstellung "Völlig fraglich" am Ende der heutigen Veranstaltung an. Die Sammlungskoordinatorin Mag.a Claudia Feigl stellte dann Zeitplan und Programm dieses bereits 20. Treffens vor und führte in die Problematik des Themas ein. Sie stellte fest, dass sich die Schwerpunktsetzung - im vergleichenden Rückblick auf ganz frühe Sammlungstreffen - immer mehr spezialisiert hat, weil Bedarf dafür gegeben war. Auch diesmal standen wieder "brennende" Themen an: eines im Zusammenhang mit der Vergangenheit und dem oft problematischen Erwerbungshintergrund von Sammlungen und ein in die Zukunft gerichtetes, nämlich die Sicherung und Sichtbarmachung von Beständen durch Digitalisierung.

Martina Cuba hielt auf Grundlage der Ergebnisse ihrer Dissertation dann als erste Referentin den Vortrag "Der Forschungsapparat am Zentralinstitut für Theaterwissenschaft der Universität Wien. Zur Sammlungsgeschichte der Materialien von 1943–1945". Es galt, die Sammlungsstrategie des Institutsgründers Heinz Kindermann (1894–1985) während der NS-Zeit aus wiederaufgefundenen Unterlagen, etwa die "Kriegstheatersammlung" oder einen Schlagwortkatalog zu Zeitungsausschnitten über "Das europäische Theater der Gegenwart" nachvollziehbar zu machen. Aus der engen Zusammenarbeit mit dem Team NS-Provenienzforschung an der UB Wien resultierte mittlerweile schon eine Empfehlung zur Restitution etlicher zu Unrecht erworbener Bibliotheksbestände aus den Erwerbungsjahren 1943–1945, einem Segment von 30.000 Bänden, das bereits vor Kriegsende erfasst worden war. Exemplarisch hob sie die wertvolle Fachbibliothek von Helene Richter (1865–1943) hervor, die bis auf die Theatersammlung nach Köln verbracht wurde, nachdem sie als Jüdin dazu gezwungen worden war, all ihre Bücher zu veräußern. - Man hofft hier auf ein Folgeprojekt zur Beforschung der auch in den 1950er und 1960er Jahren kontinuierlich weiter inventarisierten Erwerbungen aus der NS-Periode.

Den zweiten Vortrag dieses Vormittags "Die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien und ihre Erwerbungen unter dem 'Konjukturmenschen' Joseph Gregor" hielt Claudia Mayerhofer, Leiterin der Bibliothek des Theatermuseums Wien. Bis vor kurzem war diese Institution Teil der Österreichischen Nationalbibliothek, seit einigen Jahren gehört sie dem KHM-Museumsverband an. Joseph Gregor war 1922–1953 Leiter dieser Theatersammlung und ließ von Beginn an "prestigeträchtiges Material" sammeln. Ab 1930 nutzte er das neue Medium Fotografie, um eigene Aufnahmen produzieren zu lassen und "Highlights" zu dokumentieren. Sehr früh entstand hier auch ein Filmarchiv. Nach Kriegsende wurde in einschlägigen Antiquariaten weiterhin Raubgut für das Museum eingekauft. Gregor selbst war zwar nie NSDAP-Mitglied gewesen, sehr wohl aber sein Nachfolger und dessen Stellvertreterin. In der NS-Zeit gab es enorme Bestandszuwächse und auch entsprechend viel Personal (7 Personen). Heute ist das Gegenteil der Fall: Personalnot schränkt die Kapazität bei der Aufarbeitung historisch belasteter Bestände erheblich ein.

Nach einer etwas verspäteten aber nicht gekürzten Kaffeepause, die wie jedes Mal gerne zur Weiterführung persönlicher Fachgespräche genutzt wurde, stellten Birgit Peter und ihr Projektteam im nächsten Vortrag "Zur Sichtbarkeit von Forschungsdaten" das Projekt, die Datenbank und die erzielten Ergebnisse vor. Die zufällige Entdeckung vergessener, versteckter, verschollener Bestände war Startsignal für eine gründliche Aufarbeitung der vom Nationalsozialismus belasteten Institutsgeschichte. Seit seiner Gründung im Jahr 1943 war Baldur von Schirach Protegé des "Zentralinstituts" gewesen. Entsprechend umfangreich setzte der sofortige Bestandszuwachs ein. Einiges davon wurde aufgezählt und anhand von typischen Besitzstempeln und Exlibris gezeigt, so die Foto- und Diasammlung (teils aus halb zerbombten Studios stammend), die Sammlung Raoul Korty (der in Auschwitz ermordet wurde, und dessen großer Fundus an Fotos aus der Zwischenkriegszeit im Jahr 1939 für die Nationalbibliothek beschlagnahmt wurde), die Handbibliothek der arisierten Wiener Buchhandlung Lanyi und die in Wien verbliebene wertvolle Theatersammlung aus der sonst in Köln gelandeten Bibliothek der beiden Schwestern Helene und Elise Richter. Vorgestellt wurden die Art der Erfassung, die Erschließung der Objekte durch Vergabe von (normierten) Entitäten und die Bildung von "Record-Sets" mit dem Ziel, den Entstehungszusammenhang der Sammlung erkennbar zu machen und seine Archivwürdigkeit richtig einschätzen zu können. Genutzt wird der Standard "Records in Contexts" im Rahmen einer Open-Data-Policy.

Anschließend referierte die Leiterin der FB Judaistik, Monika Schreiber, in ihrer Funktion als Mitarbeiterin des Teams NS-Provenienzforschung an der UB Wien über "Treuhänderische Übergabe oder Beschlagnahme? Fortschritte der NS-Provenienzforschung am Nachlass von Berthold Hatschek an der Zoologischen Sammlung der Universität Wien". Seit zwei Jahren wird dieser Nachlass, ein "herrenloser Zufallsfund" von über 2.000 Einzelobjekten, nun schon beforscht. Berthold Hatschek (1854–1941) war Darwinist, Evolutionsbiologe und Ordinarius am I. Zoologischen Institut. Der Fall bleibt spannend, denn mehrere Vermutungen legen sich nahe: ein Lösungsansatz führt in die Richtung, Hatschek hätte das Material seinem ehemaligen Assistenten Wilhelm Marinelli selbst übergeben. Hatscheks Ehefrau Marie (geb. Rosenthal) hatte eine Schwester in Belgrad, wohin schon frühzeitig immer wieder Teile des Besitzes aus Wien gebracht wurden. Kurz nach dem Tod ihres Mannes floh Marie zu ihrer Schwester, wo beide bald verstarben. Ein "Jewish Claims Conference-Bericht" verzeichnet über den Nachlass als Raubgut im Belgrader Büro viele Verluste. Im Kriegsgeschehen und beim Rückzug wurde Raubgut nach Ratibor in Polen geschickt, verschwand am Weg oder wurde bei Kampfhandlungen zerstört. Der in Wien verbliebene Teil, v. a. der wissenschaftliche Nachlass, könnte tatsächlich schon bei der Emeritierung am Institut belassen worden sein. Warum allerdings auch der Kaufvertrag des eigenen Wohnhauses (Lange Gasse 8) und andere sehr persönliche Dokumente vorliegen, erklärt sich so nicht. Berthold Hatschek musste in hohem Alter ausziehen und ein Zimmer in der Pension Zenz, in dem Haus Engel-Ecke, Alserstraße mieten. Dort ist er im Jänner 1941 verstorben. Wilhelm Marinelli war zu dieser Zeit nicht in Wien sondern eingerückt. Dem Begräbnis Hatscheks am Wiener Zentralfriedhof wohnten nur sehr wenige Personen bei, darunter auch Otto Storch (1886–1951). Es erscheint daher möglich, dass Marie ihm die Unterlagen zur treuhänderischen Aufbewahrung übergeben hat, und dass später vielleicht dessen Tochter sie ans Institut gebracht hat. Der Zwischenbericht von Monika Schreiber zeigte, wie aufwändig manche Recherchen sein können, um die Herkunft eines Nachlasses zu kennen und seine Rechtmäßigkeit im Bestand einer Sammlung beurteilen zu können.

Nun ergriff Claudia Feigl für ihren Bericht über "Aktuelle Aktivitäten im Bereich Universitätssammlungen" das Wort. Sie fasste sich angesichts der fortgeschrittenen Zeit so kurz wie möglich und kündigte als erstes baldige Besuche in den Sammlungen an, um der Bedarfserhebung "Digitale Verzeichnisse von Universitätssammlungen" aus dem Vorjahr nun, in Zusammenarbeit mit der Abteilung Langzeitarchivierung und mit dem ZID, konkrete Schritte folgen zu lassen. Als aktuelle bestandserhaltende Maßnahmen zählte sie die Restaurierung weiterer botanischer Modelle und geologischer Karten, den Zugriffsschutz für paläontologische Großobjekte im Geozentrum sowie die Digitalisierung botanischer Wandtafeln samt Restaurierung und Übersiedlung auf. Zu diesem Pilotprojekt ergänzte Margit Sandner wenige Worte über die Erfassung der Digitalisate in PHAIDRA und deren Erschließung mit Metadaten. Sie bot einen "Blick in die Werkstatt" (Erfahrungsbericht und Praxistipps als Vorbereitung für eine Handreichung) an, erreichbar auf der Sammlungen-Website: Über uns - Projekte. Die letzte Referentin dieses Sammlungstreffens war Sonja Edler. Sie stellte die "Angebote der Abteilung 'Repositorienmanagement PHAIDRA-Services'" und sich selbst als neue Customer Managerin der Abteilung PHAIDRA / UNIDAM vor. Mit Langzeitarchivierung in PHAIDRA  meint man derzeit eine Spanne von etwa 30 Jahren. Das Repositorium basiert auf dem Open-Source-Produkt fedora und steht allen Angehörigen der Universität Wien zur Verfügung. Die Abteilung stellt nicht nur die technischen Möglichkeiten zur Verfügung sondern hilft mit einem Beratungsgespräch für jedes einzelne Projekt auch bei der Planung, bietet bei Bedarf individuelle Schulungen an, erstellt sogar Arbeitsanleitungen und hält im Akutfall Problemlösungen bereit. Nicht nur Bilder und Texte, auch Audio-Dateien und Filme können hochgeladen werden. Von den 70 möglichen Eingabefeldern sind lediglich zehn als Pflichtfelder definiert.

Der zum Abschluss angebotenen Führung durch die neue Dauerausstellung "Völlig fraglich"  zur Institutsgeschichte, die über mehrere Etagen im Stiegenhaus der Rotunde und in den Gängen des Instituts verteilt ist, folgten alle gerne. Konzept und Gestaltung sind einfallsreich, nutzen die besonderen Gegebenheiten der Innenarchitektur geschickt aus, öffnen interessante Einblicke und verhelfen zu besserer Kenntnis der belasteten Vergangenheit der Theater- Film- und Medienwissenschaft in Wien.

Text: Dr.in Margit Sandner