West Mexiko, Nayarit;
Chinesco-Kultur, ca. 50–400 n. Chr.
Gebrannter Ton, Bemalung
Aus der Rudolf Ekstein-Sammlung
Eine in Österreich seltene und besondere Tonfigur. Durch die orientalischen Gesichtszüge der Figuren aus dieser westmexikanischen Regionalkultur bürgerte sich der Begriff Chinesco für diese archäologische Stilrichtung ein. Ab den 1960er Jahren erscheinen derartige Tonskulpturen auf den Kunstmärkten. Sie stammten aus der Gegend um Las Cebollas und Santiago de Compostela im Südwesten des mexikanischen Bundesstaates Nayarit sowie aus der nördlichen Umgebung von Tepic und San Blas an der Pazifikküste. Erst 2010 wurde in Tepic das erste unberührte Chinesco-Grab mit sechs Tonfiguren und zwei Tongefäßen offiziell von mexikanischen Archäologen ausgegraben.
Der Chinesco-Stil wird der größeren Nayarit-Stilrichtung zugeordnet, mit Colima und Jalisco eine der drei bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannten Kulturkomplexe im präkolumbischen Westmexiko. Die Figuren sind in Schachtgräbern gefunden und fungierten als Grabbeigaben. Diese Gräber befanden sich unter oder in der Nähe der Behausungen und dienten vermutlich als Familiengräber, wobei die Grabstätten wiederholt geöffnet wurden, um neue Bestattungen durchzuführen. Durch das Fehlen monumentaler Architektur, bekannt aus anderen Teilen Mexikos, vermutete man für Westmexiko kleine Bauernsiedlungen. Gegenüber der religiösen Kunst anderswo in Mexiko wurde die Kunst aus Westmexiko als Szenerien aus dem menschlichen Alltag, ohne symbolische Ladung betrachtet, sogar lange als "primitiv" bezeichnet. Diese vermutete unbelastete Ursprünglichkeit und der pure oder archaische Charakter inspirierten mexikanische Künstler, wie Diego Rivera (1886–1957), Frida Kahlo (1907–1954) und Rufino Tamayo (1899–1991), die selbst westmexikanische Keramiken sammelten, und im Ausland Henry Moore (1898–1986). Die Keramiken erweckten eindeutig auch das Interesse von Rudolf Ekstein (1912–2005), weshalb sich einige westmexikanische Tonfiguren in seiner Sammlung befinden.
Die hohle, sitzende weibliche Figur mit gespreizten, wuchtigen Beinen und dünnen Armen ist für Chinesco charakteristisch. Auffallend ist die reiche, möglicherweise symbolische Bemalung, die Textilien sowie tatsächliche Körperbemalung andeuten kann. Auf den Schultern befinden sich Noppen, die auf Verzierung, Tätowierung beziehungsweise Narben verweisen können. Die Spirale am Unterkörper wird üblicherweise mit Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Unklar bleibt jedoch ob es sich hier um eine säkulare oder sakrale Formgebung handelt und ob derartige Figuren bestimmte Verstorbene, Vorfahren oder Gottheiten darstellen.
Text: Gerard van Bussel, Foto: Claudia Feigl