Chinesisches Herbarium von Handel-Mazzetti

Chinesisches Herbarium von Handel-Mazzetti

Primula (Primel, Himmelschlüssel)

Aus dem Herbarium des Fakultätszentrums für Botanik


Abenteurer wider Willen – das chinesische Herbarium von Handel-Mazzetti

Einer der wertvollsten Teile des Herbariums der Universität Wien, einer wissenschaftlichen Sammlung von gepressten und getrockneten Pflanzen, ist das chinesische Herbarium von Freiherr Heinrich von Handel-Mazzetti (19. Februar 1882 – 1. Februar 1940). Als Schüler des bekannten Universitätsprofessors Richard von Wettstein (1863–1931) hatte er schon reichlich botanische Erfahrung beim Sammeln in den Alpen, an der Adriaküste und im vorderen Orient (Mesopotamien) erworben, als er im Dezember 1913 von der österreichischen Akademie der Wissenschaften für ein Jahr zur botanischen Erforschung nach China geschickt wurde. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges verhinderte die geplante Rückkehr, und Handel-Mazzetti musste – oder konnte – vier Jahre das riesige Land bereisen und besammeln. Erst im Juni 1919 konnte er die Heimreise antreten, die Sammlungen gelangten überhaupt erst im April 1922 und nur dank der Vermittlung des deutschen Konsuls nach Wien. Das Ergebnis waren schließlich mehr als 13.000 nummerierte Aufsammlungen verschiedenster Pflanzengruppen, Pilze und Flechten und fast immer mit Duplikaten zur Bestimmung durch Spezialisten. Genaue Aufzeichnungen zu Fundort, Lebensweise und Aussehen der Pflanzen sowie die für die damalige Zeit und die technische Ausstattung hervorragende präparative Qualität begründen den außergewöhnlichen Wert dieser chinesischen Kollektionen. Ergänzt wurde die botanische Ausbeute durch sehr zahlreiche Fotografien und ethnologische Notizen. Der erste und vollständige Satz seines Pflanzenmaterials befindet sich im Wiener Universitätsherbar, ein zweiter, nahezu vollständiger Satz am Naturhistorischen Museum am Ring. Handel-Mazzetti lieferte eine ausführliche Reisebeschreibung unter dem Titel „Naturbilder aus Südwest-China“ (1927) die wegen ihrer Bedeutung 1996 von David Winstanley ins Englische übertragen und mit Originalfotografien ergänzt wurde.

Unser Foto zeigt eine chinesische Art der Gattung Primula (Primel, Himmelschlüssel) die erst 20 Jahre vorher vom Franzosen Adrien Franchet  (1834–1900) als neu für die Wissenschaft erkannt worden war. Der Erforschungsgrad der Flora Chinas war damals noch überaus mangelhaft (und ist es auch heute noch) und so verwundert es nicht, dass sich unter Handel-Mazzettis Funden zahllose neue Arten befanden, von denen der Sammler die meisten selbst in den folgenden Jahrzehnten bearbeitete und veröffentlichte und schließlich im dreibändigen Sammelwerk „Symbolae Sinicae“ zusammenfasste. Die gegenwärtig laufenden internationalen Arbeiten an einer modernen “Flora of China“  kommen an Handel-Mazzettis Material nicht vorbei, und unser Herbar wird deshalb auch regelmäßig von chinesischen und anderen auswärtigen Botanikern konsultiert. Aus diesem Grund wird sein chinesisches Material auch bevorzugt digitalisiert, und die bereits erfassten Teile sind von unserer Herbardatenbank  abrufbar.

Handel-Mazzetti hat mit seinen Fotografien den Zustand der Landschaft und der Vegetation dokumentiert und ermöglicht dadurch einzigartige Vergleiche fast 100 Jahre später. Er hat aber auch Menschen und ihre Lebensweise beobachtet und in den „Naturbildern“ der Nachwelt übermittelt. Das macht sein Wirken über die Botanik hinaus bedeutsam, und deshalb ergab sich auch eine Kooperation mit der Ausstellung „Guizhou – Verborgenes China“ in Schloss Halbturn im nördlichen Burgenland. Einige Exponate aus unseren Beständen, darunter ein Portrait in Öl vom Sammler, sind dort ausgestellt und zu bewundern. Handel-Mazzettis chinesisches Herbar und seine vielfältigen Dokumentationen sind der lebende Beweis für den nach wie vor unschätzbaren Wert der vielfältigen wissenschaftlichen Sammlungen der Universität Wien.

Text: Ass.-Prof. Dr. Walter Till; Foto: Herbarium des Fakultätszentrums für Botanik