Büste des Mathias Wieman

Büste des Mathias Wieman

Dokumentarplastik
Höhe des Kopfes: 37 cm
Aus Archiv und Sammlungen des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft


Diese Plastik stellt den deutschen Bühnen- und Filmschauspieler Mathias Wieman (1902–1969) in der Maske des Empedokles aus dem Drama Tod des Empedokles von Friedrich Hölderlin (1770–1843) dar. Die Büste wurde 1943/44 vom Bildhauer Willy Kauer angefertigt, als Basis diente ihm eine so genannte Lebendmaske, die er dem Schauspieler abnahm. „Dokumentarplastik“ nannte Heinz Kindermann (1894–1985), Gründer des Zentralinstituts für Theaterwissenschaft an der Universität Wien 1943, diese von ihm angeregte Arbeit, von der er sich völlig neue wissenschaftliche Erkenntnisse erwartete. Als „vollkommen neues wissenschaftliches Anschauungsmittel“ pries Kindermann die Dokumentarplastik an, welche die „Photographie in bisher ungeahnter Weise“ ergänzt und dem „Forscher noch nach hunderten Jahren ein völlig lebendiges und getreues Bild“ eines Schauspielers in seiner Rolle vermitteln sollte.

Mit Mathias Wieman wählte Kindermann einen Schauspieler, dessen Weg über Max Reinhardts (1873–1943) Deutsches Theater in Berlin  hin zu einem Vertreter nationalsozialistischen Schauspielstils führte. 1937 wurde Wieman der Ehrentitel Staatsschauspieler verliehen und er als unabkömmlicher Künstler des NS in die „Gottbegnadeten und UK-Listen“ des Reichspropagandaministerium aufgenommen. Somit gehörte er zur Elite nationalsozialistischer Schauspieler. Gegenwärtig bekannt ist sein Name vor allem aufgrund seiner Mitwirkung in Ich klage an, jenem Propagandafilm von Wolfgang Liebeneiner (1905–1987), der 1941 für das NS-Euthanasieprogramm Stellung bezog. Die Dokumentarplastik ist ein sichtbares Relikt einer auf „rassisch-volkhaften“ Grundlage aufgebauten Theaterwissenschaft.

2007 wurde diese Plastik mit zwei weiteren in den Schränken des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft (TFM) aufgefunden. Sie sind Teil einer umfangreichen Sammlung des Institutsgründers Heinz Kindermann und dessen erster Mitarbeiterin und Nachfolgerin Margret Dietrich (1920–2004). Bislang galten die Materialen zur Institutsgründung 1943 als verschollen.

Der Fund beinhaltete verschiedenste Dokumente zur Gründung, die ersten Forschungsvorhaben, Studienunterlagen und Materialien zum Aufbau der Bibliothek. Damit lag ein einzigartiges Archiv zu nationalsozialistischer Wissenschaftspraxis vor, das der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte.

Gemeinsam mit der Leiterin der Fachbereichsbibliothek TFM, Martina Cuba und 19 Studierenden entwickelten wir eine Ausstellung, die letztes Jahr in den Institutsräumen gezeigt wurde. Der Katalog „Wissenschaft nach der Mode“? Die Gründung des Zentralinstituts für Theaterwissenschaft an der Universität Wien (Hg. Peter/Payr, Lit 2008) dokumentiert die Forschungsergebnisse.

Mit diesem Katalog werden erstmals wesentliche Dokumente (vor allem aus dem Archiv des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft) zur Gründungsgeschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, damit soll ein Beitrag zur historischen Aufarbeitung von NS Wissenschafts- und Kulturpolitik mit Schwerpunkt Wien geleistet werden. Ausgewählte Artikel fokussieren die Geschichte dieses Erinnerungsortes. Zudem wurde der Frage nachgegangen, auf welchem gesellschaftspolitischen Konsens Wissenschafts- und Kulturpolitik in den Jahren 1945-1955 stattfinden konnte bzw. mit welchen Strategien dieser Konsens hergestellt wurde. Im Anhang findet sich eine ausführliche Chronologie der Geschichte des Instituts 1943–2008 sowie eine fachhistorische Bibliografie.

Im Zuge dieses Projekts wurden weitere wichtige Bestände aufgefunden, beispielsweise zur Geschichte der Filmwissenschaft in Wien. Denn bereits im Nationalsozialismus war eine filmwissenschaftliche Ausrichtung des Faches angedacht. Gegenwärtig arbeitet ein Forschungsteam (Mag. Dr. Christian Cargnelli und Mag. Klaus Illmayer) unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Büttner zu den Anfängen der Filmwissenschaft in Wien.

Auch dieses neue Projekt stellt eine wesentliche Ergänzung zu den zahlreichen historischen, wissenschafts- und kulturpolitischen Untersuchungen dar, die sich mit den Ausprägungen und Folgen des kulturellen, ideologischen, totalitär geprägten „Erbes“ von Austrofaschismus und Nationalsozialismus beschäftigen.

Text: Dr. Birgit Peter; Foto: Mag. Ariella Sobel