Pseudosphäre

Pseudosphäre

Präsentationsmodell einer Pseudosphäre, 1. Hälfte 20. Jh.
Gedrechseltes Holzmodell aus Eichenholz
Höhe: 31 cm
Aus der Historischen Sammlung der Fachbereichsbibliothek Mathematik, Statistik und Informatik


Dieses Modell stellt eine sogenannte Pseudosphäre, d. h. eine Sattelfläche konstanter (negativer) Gaußscher Krümmung dar. Eine Pseudosphäre entsteht durch die Rotation einer Traktrix oder Schleppkurve um ihre Asymptote.
Die Bezeichnung Pseudosphäre stammt von dem bedeutenden italienischen Geometer Eugenio Beltrami (1835–1900), der 1868 als erster ein konkretes Modell einer nichteuklidischen Geometrie angegeben hat. Man erhält nichteuklidische Geometrien, indem man das Parallelenaxiom aus dem Axiomensystem weglässt oder es abändert. (Zu einer Geraden und einem Punkt außerhalb der Geraden gibt es genau eine Parallele, die durch den Punkt geht. Das ist äquivalent damit, dass die Winkelsumme eines Dreiecks gleich 180° ist, der Umfang eines Kreises 2r π beträgt und seine Fläche r2 π ist.)

Die grundlegenden Änderungsmöglichkeiten sind:
Erstens:
Zu einer Geraden und einem Punkt außerhalb der Geraden gibt es keine Parallele. Zwei verschiedene Geraden in einer Ebene schneiden einander also immer. Dies führt zu einer elliptischen Geometrie. Ein anschauliches Modell einer zweidimensionalen elliptischen Geometrie ist die Geometrie auf einer Kugelfläche. Hier ist die Winkelsumme eines Dreiecks größer als 180°, der Umfang eines Kreises beträgt weniger als 2r π, und die Fläche weniger als π r2. In der elliptischen Geometrie gelten jedoch die Anordnungsaxiome nicht mehr unverändert.
Zweitens:
Zu einer Geraden und einem Punkt außerhalb der Geraden gibt es mindestens zwei Parallelen. Hierbei können alle anderen Axiome gewahrt werden. Man erhält eine hyperbolische Geometrie. Im Kleinen (oder lokal) kann sie als Geometrie auf der Pseudosphäre veranschaulicht werden. Die Winkelsumme eines Dreiecks ist nun kleiner als 180°, der Umfang eines Kreises beträgt mehr als 2r π, und seine Fläche mehr als r2 π.

Die Entwicklung der Mathematik ist im 20. Jahrhundert von einer Tendenz zur Algebraisierung gekennzeichnet. Die Entdeckung der nichteuklidischen Geometrien im 19. Jahrhundert hatte den festen Glauben an die sichere Begründetheit der Geometrie erschüttert. Man versuchte jetzt, die Geometrien arithmetisch zu begründen und für die Arithmetik Grundlagen anzugeben, die nicht geometrischer Natur sind. Auch die Entwicklung höherdimensionaler Geometrien erzwang Verfahren, die sich von der Anschauung möglichst zu befreien suchten. Es wurde sogar von führenden Mathematikern und Physikern, etwa Leopold Kronecker (1823–1891) oder Hermann von Helmholtz (1821–1894), die Meinung vertreten, Geometrie sei überhaupt keine mathematische Disziplin, sondern gehöre als „reine Naturwissenschaft“ im Sinne Kants zur Physik. Für die Curricula hatte das zunächst keine Auswirkung, Geometrieunterricht blieb ein wesentlicher Schwerpunkt der Mathematik-Ausbildung. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die moderne Algebra immer stärker als Leitbild auch der Lehre durch. Die alten Demonstrationsobjekte, die zuvor eine wesentliche Rolle im Geometrieunterricht gespielt hatten, wurden nicht mehr gebraucht.

Der Höhepunkt der abstrakten Mathematik ist zwar längst überschritten, nicht zuletzt durch die Möglichkeiten, die der Computer zur Verfügung stellt. Zu einer Reaktivierung der alten Modellsammlungen, die früher oft der Stolz von Mathematikinstituten waren, ist es nicht mehr gekommen.

Ausstellungshinweis:

Das Objekt wird vom 25. Juni 2010 bis 23. Jänner 2011 im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien im Rahmen der Ausstellung "The Moderns: Revolutions in Art and Science 1890-1935" zu sehen sein.

Eröffnung:

Donnerstag, 24. Juni 2010, 19.00 Uhr

Ort:

MUMOK
Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
MuseumsQuartier
Museumsplatz 1
A- 1070 Wien
T: +43-1-525 00

Öffnungszeiten:

Täglich: 10.00–18.00 Uhr
Do: 10.00–21.00 Uhr

Text: Dr. Hans-Dominik Schwabl, Foto: Claudia Feigl