Lebensgeschichtliche Aufzeichnungen von Franz Bohaumilitzky (1916–2001)
Typoskript mit zahlreichen Fotographien und Postkarten
2 Aktenordner
Teil 1: 1914–1937
Teil 2: 1938–1945
Aus der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen
„Populare Autobiographik“ ist eine Sammelbezeichnung für persönliche Aufzeichnungen nicht-professioneller Schreiber/innen und umfasst eine breite Palette an formal heterogenen Textsorten mit lebensgeschichtlichem Hintergrund. Ein in sich selbst schon besonders vielfältiges Erscheinungsbild zeigen die Lebensaufzeichnungen von Franz Bohaumilitzky (1916–2001), die der Verfasser noch zu Lebzeiten im Original dem Verein "Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen" am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte überlassen hat.
Die beiden Ordner, die der Autor ab 1990 über mehrere Jahre hinweg zusammengestellt hat, enthalten eine vielgestaltige Dokumentation seiner persönlichen Erlebnisse sowie des Zeitgeschehens der Jahre 1914 bis 1945 unter dem etwas ungelenken Titel „MEIN und dann unser gemeinsamer LEBENSWEG und der Verlauf der Geschichte“.
Die Überlassung von Originaldokumenten ist in der Sammelpraxis der „Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen“ eher eine Ausnahme; üblicherweise werden Kopien oder digitalisierte Fassungen autobiographischer Schriften real aufgenommen, während die Textoriginale meist als Teil der familiären Überlieferung im Besitz der Verfasser/innen bzw. deren Nachkommen verbleiben. Vorhergegangen waren der Manuskriptübergabe ein erster Kontakt aufgrund eines Sammelaufrufs in einer österreichischen Tageszeitung (1997) und die Überlassung einer Broschüre, die der Autor mit Unterstützung seiner Herkunftsgemeinde Ulrichsberg im oberen Mühlviertel herausgebracht hatte: Ulrichsberg anno dazumal. Das Alltagsleben in Ulrichsberg von 1920 bis 1930, [Ulrichsberg 1998]. Diese enthält neben persönlichen Erinnerungstexten von lokalhistorischer Bedeutung auch chronikartige Abschnitte und eine Sammlung regionaler Mundartausdrücke und Redewendungen.
Bemühungen um die Vergegenwärtigung von Orten der Kindheit sind bei Menschen im fortgeschrittenen Alter keine Seltenheit und ein dementsprechend häufiges Motiv hinter der Abfassung lebensgeschichtlicher Zeugnisse. Eine Besonderheit der Aufzeichnungen Franz Bohaumilitzkys liegt darin, dass seine zwei wichtigsten Lebensmittelpunkte im Biographieverlauf, der kleine Herkunftsort Ulrichsberg und die Großstadt Wien, wohin er im Alter von 14 Jahren übersiedelte, in seinen Erinnerungstexten annähernd gleich umfangreich und gehaltvoll repräsentiert sind. Die enge persönliche Bindung an beide Orte und die Erfahrung ihrer ganz unterschiedlichen Alltagskulturen befähigt den Autor offenbar dazu, beide gleichermaßen aus einer gewissen Distanz zu betrachten, die eine wichtige Voraussetzung für eine produktive Erinnerungsarbeit darstellt. Städtische und ländliche Lebenswelten finden sich selten so dicht in einem lebensgeschichtlichen Dokument verwoben; Elemente traditioneller ländlicher Prägung, z. B. das Aufwachsen unter materiell prekären Umständen und engen Moralvorstellungen, kontrastieren durchgängig mit großstädtischen Eindrücken und Erfahrungen, etwa aus der jahrzehntelangen beruflichen Tätigkeit des Verfassers im Gastgewerbe, zuerst in der vorstädtischen Gastronomie, nach 1945 in einem renommierten Innenstadt-Kaffeehaus.
Eine zweite Eigenart des Nachlasses von Franz Bohaumilitzky ist die schon erwähnte Vielfalt der zusammengestellten Dokumente und der enthaltenen Textsorten. Obwohl der Autor sich für ein recht abstraktes Ordnungskriterium entscheidet und seine Erinnerungen chronikalisch – nach Kalenderjahren, von 1914 bis 1945 – strukturiert und überdies seine persönlichen Erinnerungen jeweils zeitgeschichtlich oder kulturell bedeutenden Ereignissen dieser Jahre gegenüberstellt, beeinträchtigt dies kaum die Spontaneität und den inhaltlichen Reichtum der lebensgeschichtlichen Erzählungen. Wichtige biographische oder zeithistorische Ereignisse, alltagsgeschichtlich bedeutsame Themen oder auch einzelne vorliegende Dokumente wie Fotos, Kino- oder Theaterprogramme, Zeitungsausschnitte usw. regen den Schreiber oft zu ausgedehnten schriftlichen Reflexionen an. Das Fehlen weiterer gliedernder Zwischenüberschriften deutet darauf hin, dass der Verfasser seinem Erinnerungs- und Erzählfluss dabei – abgesehen von den jährlichen Zäsuren – weitgehend freien Lauf gelassen hat.
Konkret umfassen die unveröffentlichten Aufzeichnungen Franz Bohaumilitzkys zwei Ordner, gefüllt mit insgesamt 366 großteils unpaginierten, durchgängig doppelseitig beschrifteten oder beklebten Blättern, also insgesamt rund 730 A4-Seiten nebst einer Reihe sonstiger Beilagen (vor allem Filmprospekte aus den 1930er Jahren, außerdem amtliche Dokumente, topographische oder Wohnungsskizzen u. Ä.). Etwa die Hälfte der Seiten ist engzeilig mit Schreibmaschine beschrieben, wobei bestimmte Passagen systematisch durch rote Schriftfarbe hervorgehoben sind. Die andere Hälfte ist mit Abbildungen aller Art (Fotos, Post- und Poesiekarten, Schriftstücke, Zeitungsausschnitte, Theaterprogrammzettel u. a.) beklebt, wobei diese eingefügten Dokumente nicht selten vom Autor wieder eigens mit maschinschriftlichen Notizen versehen sind.
Einen geschlossenen Teil innerhalb des zweiten Ordners bilden die Abschriften sämtlicher Briefe (insgesamt ca. 140 A4-Seiten), die in der Zeit seines Kriegseinsatzes (von September 1944 bis Mai 1945) zwischen dem Autor und seiner Ehefrau Luise, die er im Dezember 1942 geheiratet hatte, gewechselt wurden.
Einige Textausschnitte aus den lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen Franz Bohaumilitzkys finden sich im „interaktiven Erinnerungsalbum“ auf www.MenschenSchreibenGeschichte.at .
Text: Mag. Günter Müller, Foto: Mag. Claudia Feigl