Neuguinea, um 1900
Flötenpaar aus Bambus, gebräunt, Verzierungen aus Rotang-Geflecht
Länge: 128 und 130 cm, Durchmesser: 3,4 und 4,2 cm.
Aus der Musikinstrumentensammlung, Inv. Nr. 4.031 und 4.032
Die "Heiligen Flöten" aus Neuguinea zählen zu den ältesten Objekten der Sammlung von Musikinstrumenten am Institut für Musikwissenschaft. Es handelt sich hierbei um zwei lange Bambusflöten, die als Paar gespielt wurden. Rudolf Pöch (1870–1921), der Begründer der Anthropologie als akademisches Lehrfach an der Universität Wien, hat die beiden Instrumente 1904 auf Mushu Island (Muschu), einer kleinen, der East Sepik-Region vorgelagerten Insel erworben. Sie befanden sich lange Zeit im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, bis sie in den 1970er Jahren schließlich dem Institut für Musikwissenschaft als Dauerleihgaben überlassen wurden.
Pöch beschreibt die "Heiligen Flöten" als tabuisierte Sakralobjekte, die von Frauen und nicht initiierten männlichen Personen nicht gesehen werden durften. Einer verbreiteten Mythe nach aber seien die Frauen die Entdeckerinnen und Besitzerinnen der Heiligen Flöten gewesen, bis ihnen die Männer die Flöten und das Wissen um das Flötenspiel gestohlen hätten. Das Spiel der Heiligen Flöten war u.a. Teil der Burscheninitiation. Dabei traten murup-Masken, bestimmte Geister darstellend, in Erscheinung. Unsichtbar im Hintergrund standen die Spieler der ebenfalls als murup bezeichneten Flöten. Die von ihnen produzierten Klänge wurden als die Stimmen dieser Geister betrachtet. Auch bei Begräbnissen oder dem Bau von Männerhäusern konnte man die Flöten vernehmen. In einigen Gebieten Neuguineas ist die Tradition noch heute lebendig.
Das Spiel dieser grifflochlosen Flöten war eine Kunst, die nur wenige beherrschten. Um das Instrument zum Ansprechen zu bringen, muss - nach den Forschungen von Walter Graf (1903–1982) - ein Luftstrom erzeugt werden, dessen Stärke etwa das Zehnfache des Forte-Spiels auf einer Klarinette beträgt. Im besten Fall können dem Instrument durch Überblasen vier Töne, vom 3. bis zum 6. Teilton, entlockt werden. Eine Melodie setzt sich aus abwechselnd von den beiden Spielern geblasenen Tönen zusammen: der erste Spieler spielt den 1., 3., 5. usw., der zweite Spieler den 2., 4., 6. Ton. Auch ideologisch sind die Instrumente komplementär: sie gelten als männlich und weiblich. Die Instrumente sind vom Typ der halbgedackten Querflöten. Das eine Ende des Bambusrohrs ist durch ein Nodium geschlossen, das Nodium am anderen Ende ist hingegen durchstochen. Nahe dem oberen Ende befindet sich ein rundes Anblasloch. Beim Spiel werden die Flöten horizontal gehalten. Vergleichsinstrumente, ebenfalls von Pöch gesammelt, befinden sich im Museum für Völkerkunde Wien .
Rudolf Pöch hat 1904 Tonaufnahmen von murup-Flöten auf Wachsplatten gemacht. Diese wurden vom Phonogrammarchiv im Jahr 2000 auf einer CD veröffentlicht.
Hörbeispiel aus: Gesamtausgabe der Historischen Bestände 1899-1950, Serie 3:
Papua New Guinea (1904-1909). The collections of Rudolf Pöch, Wilhelm Schmidt, and Josef Winthuis, hg. von Gerda Lechleitner. Wien: Verlag der ÖAW, 2000; CD 1, Nr. 24.
Text und Foto: Ass.-Prof. Mag. Dr. August Schmidhofer