Riesenschachtelhalm

Riesenschachtelhalm

Naturselbstdruck eines Riesenschachtelhalmes (Equisetum telmateia), 1856
Maße: 30 x 45 cm
Aus dem Bestand der FB Pharmazie und Ernährungswissenschaften
Mit dazugehöriger Druck-Mutterplatte aus der Historischen Sammlung des Fakultätszentrums für Biodiversität


In den Beständen der Fachbereichsbibliothek (FB) Pharmazie und Ernährungswissenschaften und der FB Botanik finden sich eine Reihe bisher weitgehend unbekannt gebliebener bibliophiler Raritäten. Eine davon stellt die von Constantin Freiherr von Ettingshausen (1826–1897) und Alois Pokorny (1826–1886) im Jahr 1856 herausgegebene erste Serie der Physiotypia plantarum Austriacarum, eine Kollektion von Naturselbstdrucken der "Gefässpflanzen des österreichischen Kaiserstaates" auf 30 Quart- und 500 Foliotafeln, aus der ehemaligen Wiener k. k. Hof- und Staatsdruckerei dar.

Der Naturselbstdruck, mithin die Idee, Naturobjekte als unmittelbares Druckmedium zu verwenden, geht bis in das Jahr 1229 zurück. In einem Konvolut von Übersetzungen der Materia medica des Dioscorides in das Syrische finden sich Abdrücke (sogenannte Ektypien) getrockneter Pflanzen, die beidseitig mit einer grünschwarzen Farbe bestrichen worden waren. Ähnliche Abdrücke finden sich später (1425) auch in einem Reisetagebuch des Arztes Konrad von Butzbach und im Codex Atlanticus von Leonardo da Vinci aus dem Jahr 1508. Für Papier-Banknoten aus New Jersey nutzte der Erfinder und spätere Politiker Benjamin Franklin (1706–1790) die individuelle Form von Pflanzenblättern als fälschungssicheres Muster: Er fixierte Blätter auf einer Leinenunterlage, stellte einen Gipsabguss her und goss das Gipsmodell mit Letternmetall aus. Die entstandene Platte diente dann als Druckstock.

Für die Technik des Naturselbstdruckes, wie ihn die k. k. Staatsdruckerei unter ihrem Direktor Alois Auer Ritter von Welsbach (1813–1869) anwandte, war die Erfindung der Galvanoplastik durch Moritz Hermann von Jacobi (1801–1874) in Dorpat im Jahr 1837 maßgeblich. Dabei wurde in einem galvanischen Bad aus Kupfersulfatlösung mit einer Spannung von 1 bis 2 Volt von einer beliebigen Form eine identische negative Kopie hergestellt. Die Form musste zuvor mit Graphit elektrisch leitend gemacht werden und wurde dann an Kupferträgern in das galvanische Bad eingehängt. Für die Physiotypia presste die Staatsdruckerei gut getrocknete Herbar-Belege von Pflanzen unter hohem Druck (ca. 1000 Bar) zwischen einer weichen Blei- und einer harten Stahlplatte, wobei sich selbst die allerfeinsten Details wie Blattnerven in die Bleiplatte eingruben. Durch Umgalvanisieren erhielt man die Kupfer-Mutterplatten ("Hochdruckplatten"), die zum Großteil bis heute erhalten geblieben sind. Mit ihnen wurde allerdings noch nicht gedruckt. Nochmaliges Umgalvanisieren der Mutterplatten ergab dann die eigentlichen Tiefdruckkupferplatten. Das Druckergebnis war somit eine erhabene 1:1 Reproduktion der jeweiligen Pflanze. Die Naturselbstdrucke weisen bei trockener, säurefreier Lagerung unter weitgehendem Lichtabschluss eine belegte Haltbarkeit von mehr als 150 Jahren auf. Der ursprüngliche Gedanke, ganze hinsichtlich der Handhabung und Lagerung aufwändige Original-Herbare durch Naturselbstdrucke zu ersetzen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.

Die erste Serie der Physiotypia plantarum austriacarum: Der Naturselbstdruck in seiner Anwendung auf die Gefäßpflanzen des österreichischen Kaiserstaates, mit besonderer Berücksichtigung der Nervation in den Flächenorganen der Pflanzen erschien 1856 in Wien (Foliotafel 1 bis 500), die erweiterte zweite Serie mit 1.000 Foliotafeln wurde anlässlich der Wiener Weltausstellung 1873 durch Friedrich Tempsky (1821–1902) in Prag verlegt. Ein Großteil der unikalen Kupfer-Mutterplatten befindet sich heute am Fakultätszentrum für Biodiversität (früher Institut für Botanik). 1902 waren die noch an der Staatsdruckerei vorhandenen Originalplatten wegen ihres Materialwertes von der Einschmelzung bedroht. August Ginzberger (1873–1940), Assistent am Botanischen Garten und Botanischen Museum der Universität Wien, sichtete die Platten und bezeichnete 617 Stück als erhaltungswürdig. Diese Mutterplatten mit einem Gesamtgewicht von 411 Kilogramm wurden dann am 22. Jänner 1903 zu einem Kupfer-Kilopreis von 1 Krone 40 Heller (insgesamt also etwa 575 Kronen 40 Heller) von der Direktion des Botanischen Gartens und des Botanischen Museums angekauft. Ausdrücklich wurde damit ein "momentan wissenschaftlich nicht wertvolles Object" erworben, es handelte sich vielmehr um "den Versuch, ein Object zu conservieren, dem eventuell spätereinmal ein wissenschaftlicher oder didaktischer Wert zukommen könnte".

Veranstaltungshinweis:

Kongress: Phytotherapeutika 2012. Wissensfortschritte im 21. Jahrhundert.
Ort: Universität Wien, Pharmazentrum (UZA II)
Zeit: 17.-19. Mai 2012

Programmheft (pdf, 3,45 MB)

Text und Fotos: HR Mag. Dr. Kurt Schneider (FB Pharmazie und Ernährungswissenschaften) und Mag. Matthias Svojtka (FB Botanik)