Fragmente einer Bauchamphora

Fragmente einer Bauchamphora

Fragmente eines antiken Keramikgefäßes (Bauchamphora)
Angefertigt um 500 v. Chr. in Athen
Höhe: ca. 60 cm
Inv.-Nr.: 631a
Aus der Archäologischen Sammlung


Vor einiger Zeit konnten die Fragmente eines großen Keramikgefäßes auf einem Modell montiert werden, was die Wahrnehmung der Bilder sehr erleichtert. Die Scherben stammen von einer Bauchamphora (im Modell ohne Henkel nachgebildet), die um 500 v. Chr. in Athen fabriziert und nach Etrurien exportiert wurde, wo sie als Grabbeigabe diente. Aufgrund der Linienführung und Detailausarbeitung konnte der Dekor einem Vasenmaler zugeschrieben werden, der andere Gefäße mit seinem Namen signierte. Er hieß Oltos und gehörte zu den ersten Handwerkern, die die um 525 v. Chr. eingeführte sog. rotfigurige Technik anwandten und weiterentwickelten. In dieser Technik ist der Tongrund (der nach dem Brand orangerot erscheint) für die Figuren ausgespart und der Hintergrund mit dunkler Farbe abgedeckt, die nach dem Brand schwarz glänzt.

Auf einer Seite ist eine Begebenheit aus einer überregional weit verbreiteten Sage dargestellt: Herakles, der Lieblingssohn des Zeus und der sterblichen Alkmene, muß aufgrund einer List der eifersüchtigen Zeusgattin Hera eine Reihe von "Aufgaben" bewältigen, die Körperkraft, Findigkeit oder einen langen Atem erfordern. Ausdauer ist für die hier dargestellte Episode gefragt: Herakles verfolgt die Hirschkuh von Keryneia (einem Berg auf der Peloponnes) ein Jahr lang, bis er sie eingeholt hat und sie entweder lebend zum König von Argos bringt oder ihr (einer anderen Überlieferung zufolge) als Beweis der Überwältigung ihr goldenes Geweih abbricht. In jedem Fall zieht er sich damit den Unmut der Göttin Artemis zu, unter deren Schutz die Tiere der freien Natur stehen.

Im Bild sieht man Herakles, der die Hirschkuh im linken Arm hält und mit ihr davonläuft. Das Tier ist ermattet, sein Kopf hängt schlaff herab. Im Gehen wendet sich der Held (erkennbar an dem Löwenfell auf dem Kopf) zu einer männlichen Figur um, die ihn verfolgt. Am Bildrand stehen (links) Athena, die ihren Helm in der Hand trägt, und (rechts) eine Frau, die einen Bogen in der linken Hand hielt (wie man an einem Rest des aufgebogenen Endes auf ihrem Gewand sehen kann). Die Göttin mit dem Bogen ist Artemis, die in vielen Bildern mit ihrem Bruder Apollon dargestellt ist. Er muß der Verfolger sein.

Bilder der klassischen Zeit (5. und 4. Jh. v. Chr.) konzentrieren sich auf den Höhepunkt der Geschichte und stellen dar, wie Herakles auf den Rücken der Hirschkuh springt und sie dadurch fixiert. Ob er sie dann fesselt oder nur das Geweih als Trophäe mitnimmt, ist zweitrangig. Die Bilder der archaischen Zeit (7. und 6. Jh. v. Chr.) wollen möglichst viel erzählen: Oltos zeigt nicht nur Herakles und die Hirschkuh, sondern auch den Konflikt mit Artemis. Allerdings setzt nicht die Göttin selbst ihm nach, sondern ihr Bruder tut dies für sie. Das Bild (nicht die Erzählung!) konfrontiert also Herakles und Apollon.

Eben diese Konfrontation zwischen Herakles und Apollon in eben diesem Bildtypus (Herakles wird von Apollon verfolgt) kannten die Betrachterinnen und Betrachter der Bilder seit langem. In weit verbreiteten Bildern wurde eine andere Tat des Herakles dargestellt, die keine Aufgabe war, sondern den ungestümen Charakter dieses Heros veranschaulicht: Herakles will den Dreifuß des Apollon in Delphi entwenden. Auch in diesen Bildern werden geläufig Athena (als die Schutzgöttin von Helden) und Artemis (als Schwester des Apollon) dargestellt, obwohl sie mit der Erzählung nichts zu tun haben.

So wie Artemis ihren Bruder im Dreifußstreit "unterstützt", so unterstützt Apollon seine Schwester in dem Bild des Oltos. Durch die Verwendung einer bekannten Bildkomposition zeigt der Vasenmaler, wie die Geschichte ausgeht: Herakles wird die Hirschkuh zurückgeben, so wie er auch den Dreifuß loslassen musste.

Das Gefäß bietet ein Beispiel für die spezifische Erzählweise der archaischen Zeit und zeigt eindrucksvoll, dass Bilder mit visuellen Strategien Geschichten erzählen, die sprachlich ganz anders dargestellt werden.

Anm. der Redaktion:
Die Fragmente wurden im Jahr 2013 mit von der DLE Bibliotheks- und Archivwesen zur Verfügung gestellten Mitteln professionell restauriert und montiert.

Text: Univ.-Prof.in Dr.in Marion Meyer; Fotos: Kristina Klein