Leporello von Franziska Grasel

Leporello von Franziska Grasel

Leporello mit acht Fotografien vom Flakdienst im Zweiten Weltkrieg, vor 2003
Aus dem Vorlass von Franziska Grasel (geb. 1921)
Fotos, Kunststoff
Maße (Leporello): 43,3 x 7,6 cm
Maße (Foto): 9 x 6 cm
Inv.-Nr.: SFN NL 48
Aus der Sammlung Frauennachlässe


Die Niederösterreicherin Franziska Grasel (geb. 1921) war im letzten halben Jahr des Zweiten Weltkrieges als Flakhelferin im Mühlviertel eingesetzt. Davor war sie bereits drei Jahre lang im "Reichsarbeitsdienst weiblicher Jugend" (RADwJ) tätig gewesen: Nach ihrem sechs Monate dauernden Dienst im Waldviertel hatte sie sich als "Kameradschaftsälteste" freiwillig zur Verlängerung gemeldet und war mit dem Dienstgrad "Jungführerin" zu einem Einsatz in das "Protektorat Böhmen–Mähren" überstellt worden. Anschließend besuchte die junge Frau eine einjährige "Lagerschule" in Vorpommern, bevor sie wieder in ein RAD–Lager im Waldviertel kam, von wo sie zur Flak einberufen wurde. Aus dieser Zeit dürften die acht Fotografien von Flakhelferinnen stammen, die Franziska Grasel 2003 der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte übergeben hat. Nähere Informationen zu der Entstehung der Bilder sind nicht vorhanden. Auch ist nicht bekannt, seit wann die Übergeberin die Fotografien in dem Leporello aus Kunststoff, in dem sie sich heute befinden, archiviert hat.

Gemeinsam mit diesen Fotografien hat Franziska Grasel 2003 auch ein Besteck übergeben, das sie während ihrer RAD-Zeit verwendete. Zudem hat sie im Kontext der Übergabe ihres Vorlasses ein Fotoalbum mit 359 Fotografien und 25 Postkarten zusammengestellt. Dieses Album, das in seiner (Re-)Konstruktion von Erinnerung auch eine Positionierung zur eigenen Vergangenheit bedeutet, ist derzeit in der Ausstellung Fremde im Visier. Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg  ausgestellt, die noch bis Mitte Februar 2017 im Volkskundemuseum Wien gezeigt wird. Die von Petra Bopp und Sandra Starke kuratierte Ausstellung hält nach Orten in Deutschland und den Niederlanden sowie in Graz ihre nunmehr achte Station in Wien. Lokale Erweiterungen – wie eben durch das Album von Franziska Grasel – wurden dabei unter anderem von der Sammlung Frauennachlässe zur Verfügung gestellt. Damit hat die Ausstellung auch erstmals einen Fokus auf Fotografien von Frauen im Zweiten Weltkrieg. Solche Aufnahmen von Flakhelferinnen, die hier als Objekt des Monats gezeigt werden, sind in Sammlungen und Archiven bisher selten, – so wie insgesamt zum Thema Frauen im Nationalsozialismus noch immer großer Forschungsbedarf besteht. Das machte auch eine Diskussionsveranstaltung mit Christa Hämmerle und Li Gerhalter von der Sammlung Frauennachlässe deutlich, die im Rahmen der Ausstellung "Fremde im Visier" Ende Jänner 2017 stattfand.

Im Zweiten Weltkrieg waren auf der Seite des "Dritten Reichs" etwa eine halbe Million Frauen in unterschiedlichen Funktionen und Beschäftigungsfeldern in der Wehrmacht tätig. Sie waren vor allem Flakhelferinnen, Krankenschwestern oder in der Kommunikation und Verwaltung tätig. Der oftmals gebrauchte Begriff der "Wehrmachtshelferin" ist missverständlich, weil er die weitgehende Beteiligung von Frauen am militärischen System des Nationalsozialismus kaschiert. Der Großteil der kriegswichtigen Hilfsarbeiten wurde von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern geleistet. Durch ihre NS-Sozialisation und die Propaganda wurde das Bild der Frau als Kameradin geprägt, welches nicht nur ihre Rolle als Ehefrau und Mutter umfasste, sondern sie auch als Unterstützerin der Männer im Krieg adressierte. Die Mobilisierung der Mädchen und Frauen erfolgte vor allem durch die NS-Vorfeldorganisationen des "Bundes Deutscher Mädel" (BDM) oder des "Reichsarbeitsdienstes weiblicher Jugend" (RADwJ). Letzterer war seit Kriegsbeginn für alle "arischen Frauen" zwischen 17 und 25 Jahren, die keiner Ausbildung und keinem Vollzeitberuf nachgingen, verpflichtend. Er dauerte zunächst ein halbes Jahr und wurde in den Folgejahren stetig verlängert.

Die unmittelbare Nähe zum Kampfgeschehen, sei es als Flakhelferin oder als Rotkreuzschwester etc., beförderte die Integration von Frauen in das Militärsystem. Ihr Streben nach Anerkennung als weibliche Kombattantinnen zeigt sich auch durch die Darstellung der Frauen in Uniform, sowohl auf Propagandabildern als auch in privat angefertigten Fotografien. Die Uniformierung ermächtigte Frauen dazu, sich als "Repräsentationsorgane eines Kollektivs" (Elissa Mailänder) zu begreifen und beeinflusste mit der Foto- und Bilddokumentation das kollektive Erinnerungsbild. Der Einsatz von Frauen im Krieg befreite sie aber nicht davon, die von der NS-Ideologie propagierte Mutterrolle einzunehmen. Um arbeitende Mütter zu unterstützen und die Geburtenrate zu steigern, wurde eine Reihe von Organisationen und Einrichtungen gegründet, wie in der Ausstellung die Alben von Marianne Leitner zeigen, die ebenfalls in der Sammlung Frauennachlässe archiviert sind.

Ausstellungshinweis:

Die Ausstellung Fremde im Visier. Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg  ist noch bis zum Sonntag, den 19.02.2017 im Volkskundemuseum Wien  zu sehen.

Ort: Volkskundemuseum Wien
Adresse: Laudongasse 15–19, 1080 Wien
Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag 10–17 Uhr
Montag geschlossen!

Text: Sammlung Frauennachlässe und Volkskundemuseum Wien, Foto: Claudia Feigl