Glasmodell eines Röhrenpolypen

Glasmodell eines Röhrenpolypen

Tubularia indivisia ♂
Modell von Leopold und Rudolf Blaschka, um 1885
Glas, Draht, Tierleim
Maße: ca. 10 x 10 x 18 cm
Inv.-Nr.: GM 32
Aus der Zoologischen Sammlung


Mit dem Beginn intensiver meeresbiologischer Forschungen Mitte des 19. Jahrhunderts war die Nachfrage nach Darstellungen von Tieren, die sich aufgrund von fehlenden Skelettteilen nur ungenügend konservieren ließen, sehr groß. Für den naturwissenschaftlich interessierten böhmischen Glasbläser Leopold Blaschka (1822–1895) war es naheliegend, 1863 den Versuch zu unternehmen, Quallen, Tintenfische, Meeresschnecken und Anemonen in Glas nachzubilden. Seine außergewöhnliche Darstellungsgenauigkeit und handwerkliche Meisterschaft fand bei namhaften zeitgenössischen Naturwissenschaftern große Anerkennung, sodass in den darauffolgenden Jahrzehnten mehrere tausend Modelle entstanden, die Leopold Blaschka bis 1890 gemeinsam mit seinem Sohn Rudolf (1857–1939), dem einzigen Lehrling, den er dafür ausgebildet hatte, herstellte.

Die bis heute einzigartigen Glasmodelle entstanden in enger Zusammenarbeit mit führenden Zoologen, wie etwa Franz Eilhard Schulze, Ernst Haeckel und Carl Claus. Carl Claus (1839–1899) wurde 1873 gleichzeitig mit Franz Eilhard Schulze (1840–1921) nach Österreich berufen: Schulze als Professor für Zoologie an die Universität Graz, Claus als Professor für Zoologie und vergleichende Anatomie an die Universität Wien. Beide waren Meeresbiologen und hatten als Bedingung ihrer Berufungen eine zoologische Forschungsstation am Mittelmeer ausverhandelt. Als deren Standort wurde Triest gewählt und die "k.k. Zoologische Station in Triest" 1875 unter der Leitung beider Professoren Claus und Schulze eröffnet. Aufgabe dieser Station war unter anderem die Versorgung der beiden zoologischen Institute mit präparierten aber auch mit lebenden Meerestieren.

Sowohl Schulze als auch Claus hatten ihre Schwerpunkte in der Beforschung von Meerestieren: Schulze spezialisierte sich auf die Erforschung der Anatomie und Entwicklung von Schwämmen. Claus' Schwerpunkt bildeten Krebse und Hohltiere, die er ebenfalls unter anatomischen und entwicklungsbiologischen Gesichtspunkten untersuchte. Entsprechend ihrer Forschungsgebiete forderten Claus und Schulze Modelle bei Leopold Blaschka an – nicht immer gegen Geld, denn Zielorte der Lebendtiersendungen aus Triest waren nicht nur Wien und Graz sondern ab 1878 auch Dresden, wo Leopold Blaschka seit 1863 seine Werkstatt hatte. Dort befanden sich mehrere Aquarien, in denen sich die lebenden Vorbilder der Modelle genau beobachten und studieren ließen.

Aufgrund eines Zerwürfnisses mit Carl Claus im Jahr 1880 war Leopold Blaschka jedoch gezwungen, sich neue Möglichkeiten zu suchen, um an lebende Meerestiere zu kommen. Claus hatte nämlich darauf bestanden, dass Blaschka die Modelle nicht wie bisher direkt an die Zoologische Station in Triest senden solle, sondern an das Institut in Wien. Leopold Blaschka erklärte sich damit nicht einverstanden, da er befürchtete, dass die Qualität der Lebendtiersendungen nicht seinen Wünschen entsprechend sein würden. Denn die Strapazen, die diese Tiere auf sich nehmen mussten, waren nicht unerheblich: in Gläsern eingeschlossen, diese wiederum in gepolsterte Körbe gebettet, gingen die Schnecken, Anemonen, Muscheln und auch Seepferdchen per Expressbeförderung bzw. Eilbotenzustellung auf die Reise und auch nur dann, wenn die Temperaturen es erlaubten. Nur besonders robuste Individuen überstanden diese Transporte, und entsprechend sorgfältig mussten die Tiere ausgewählt und auf ihre Versendung vorbereitet werden.

Spätestens 1884 waren die Unstimmigkeiten wieder bereinigt: Leopold Blaschka erhielt wieder die von ihm erbetenen Meerestiere - meist Muscheln und Schnecken - aus Triest, und Carl Claus gab zunächst 38, einige Monate später weitere 77 Modelle in Auftrag. Im Februar 1887 erfolgte die vermutlich letzte Bestellung für die Universität Wien und umfasste 21 Modelle.

Insgesamt befinden sich heute 145 Glasmodelle mariner Wirbelloser und Radiolarien in der Zoologischen Sammlung der Universität Wien. Sie wurden über mehrere Jahrzehnte im Rahmen von Lehrveranstaltungen zu Anschauungszwecken genutzt, verließen dann jedoch die Schränke nur mehr zu sehr besonderen Anlässen und waren für die Öffentlichkeit praktisch nicht zugänglich. Seit Ende November 2016 zeigt die Universität Wien einen Teil ihrer bedeutenden Sammlung an Blaschka-Glasmodellen in der ständigen Schausammlung des Naturhistorischen Museums Wien . Durch die Kooperation der Universität Wien mit dem Naturhistorischen Museum Wien ist es nun möglich, einen Teil dieser einzigartigen Objekte einem breiten Publikum zu präsentieren.

Ausstellungshinweis:

Ort: Naturhistorisches Museum Wien, Saal 22 (1. Stock)
Adresse: Maria Theresienplatz 1, 1010 Wien
Öffnungszeiten: Do - Mo 9:00 - 18:30 Uhr, Mi 9:00 - 21:00 Uhr
Dienstags geschlossen!

Text: Claudia Feigl, Foto: Alice Schumacher © NHM Wien