Kupfer-Patrize von „Rosa alpina“

Kupfer-Patrize von <em>„Rosa alpina“</em>

Hochdruckplatte für Tafel 476 der "Physiotypia plantarum austriacarum" von Constantin von Ettingshausen & Alois Pokorny
Kupfer, Wien um 1855
Maße: 31 x 46 cm
Aus der Historischen Sammlung des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung


"Die Krystallschränke der neuen Auslage der Hof- und Staatsdruckerei in der Singerstraße erregen die Aufmerksamkeit jedes Vorübergehenden, doch fesselt nichts in dem Grade wie die wunderbaren braun in braun gehaltenen Pflanzenabdrücke, die einem nachbarlich aufliegenden Buche, der Physiotypia plantarum austriacarum angehören. Laie und Kenner staunen über die Natürlichkeit, mit welcher ihnen hinter den Glastafeln die Kinder unserer heimischen Flora entgegenschauen. Man wird irr, ob das eigenthümlich getrocknete Pflanzen seien, die auf dem Papier kleben, oder ob es wirklich möglich wurde, durch ein graphisches Mittel an den geheimsten Webstuhl der Natur zu gelangen".

Mit diesen Worten begann der Journalist Gustav Lakenbach in der Tageszeitung "Die Presse" vom 12. August 1856  unter dem Titel "Ein botanisches Prachtwerk" seine Besprechung der "Physiotypia plantarum austriacarum" von Constantin von Ettingshausen (1826–1897) und Alois Pokorny (1826–1886). Das Werk über den, wie es im Artikel schon so schön hieß, Naturselbstdruck in seiner Anwendung auf die Gefäßpflanzen des österreichischen Kaiserstaates, war eines der weltweit größten, technisch ausgereiftesten und bedeutendsten Naturselbstdruck-Projekte, realisiert durch die k. k. Hof- und Staatsdruckerei  in Wien. Die erste Serie von 1856 umfasste einen Band mit 30 Tafeln in Großquart (260 x 365 mm) und 500 Tafeln in Großfolio (406 x 575 mm); 1873 erschienen als zweite Serie weitere 500 Großfolio-Tafeln. Die grundlegende Idee, reliefierte Naturobjekte direkt als Druckform einzusetzen, lässt sich bis in das Jahr 1229 zurückverfolgen: In einer Übersetzung der Materia medica des Dioscurides in das Syrische finden sich Abdrücke (sogenannte "Ektypien") getrockneter Pflanzen, die mit grünschwarzen Farbe bestrichen worden waren. In die lange Geschichte des Naturselbstdruckes gehört Benjamin Franklin (1706–1790), der die individuelle Form von Pflanzenblättern als fälschungssicheres Muster für Banknoten aus New Jersey einsetzte, ebenso wie der Grazer Buchdrucker Alois Beckh von Widmanstätten (1754–1849), der geschnittene Eisenmeteoriten mit Salpetersäure ätzte und die erhaltenen Strukturen abdruckte.

Neuartig am Verfahren der Staatsdruckerei war der Umstand, dass nicht mehr mit dem Naturobjekt direkt, sondern mit einer Abformung des Objekts gedruckt wurde. In ersten Experimenten verwendete man fossile Fische und stellte mittels Guttapercha, dem Milchsaft des Guttapercha-Baumes (Palaquium gutta), Abdrücke her. Nachdem die Oberfläche dieser Abdrücke elektrisch leitend gemacht worden war, konnte man in einem galvanischen Bad - einer Kupfersulfatlösung mit einer angelegten elektrischen Spannung von 1 bis 2 Volt - Kupfer-Druckplatten erzeugen. Für herbarisierte Pflanzen und ähnlich flache Objekte hatte nun der Faktor für Galvanoplastik an der Staatsdruckerei Andreas Worring (1812–1892) die geniale Idee, statt Guttapercha Blei zu verwenden. Man presste die Objekte unter hohem Druck (rund 1.000 Bar) zwischen einer weichen Blei- und einer harten Stahlplatte, wobei sich feinste Objektdetails in die Bleiplatte eingruben. Durch Umgalvanisieren der Bleiplatte erhielt man eine erhabene Kupfer-Hochdruckplatte (Patrize), nach erneutem Umgalvanisieren der Patrize eine Kupfer-Tiefdruckplatte (Matrize). Dieses Verfahren nannte Alois Auer "Naturselbstdruck", "weil sich die Natur oder das Original selbst so getreu abbildet, dass kein Unterschied zwischen dem Originale und dem Abdrucke wahrzunehmen ist". Der Vorteil der neuen Technik gegenüber früheren Naturdruck-Unternehmungen, bei denen die Objekte selbst nach einigen wenigen Abdrücken unbrauchbar wurden, war die nahezu beliebige Reproduzierbarkeit, wodurch hohe Druck-Auflagen erreicht werden konnten. Die Staatsdruckerei bewahrte die Hochdruckplatten als Archiv auf und konnte davon beliebig viele Matrizen für den eigentlichen Druck durch galvanische Abformung produzieren.

Schon einzelne Naturselbstdruck-Blätter sind heute gesuchte und wertvolle Sammlungsobjekte. Die Zeugen des ehemaligen Herstellungsverfahrens, also erhaltene Druckplatten, sind jedoch noch wesentlich seltener und gelten als absolute Raritäten. Die Universität Wien besitzt in der Historischen Sammlung des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung 515 originale Kupferplatten (514 Patrizen und eine Matrize) aus dem Physiotypia-Druckprojekt. Im Jahr 1902 nahm das "Botanische Museum", wie das spätere Institut für Botanik damals noch hieß, mit der benachbarten Staatsdruckerei Kontakt auf und identifizierte durch den Assistenten August Ginzberger (1873–1940) 617 der noch vorhandenen Originalplatten als erhaltungswürdig. Es folgte ein an zeitgenössischen Höflichkeitsfloskeln reicher Briefwechsel zwischen der Staatsdruckerei und dem Botanischen Museum, schlussendlich übernahm letzteres die Platten mit einem Gesamtgewicht von 411 Kilogramm. Bezahlt wurde der damals aktuelle Kupfer-Kilopreis von 1 Krone 40 Heller, also insgesamt 575 Kronen und 40 Heller. Man erwarb sehr weitsichtig ein "momentan wissenschaftlich nicht wertvolles Object" in der Hoffnung "ein Object zu conservieren, dem eventuell spätereinmal ein wissenschaftlicher oder didaktischer Wert zukommen könnte", wie es in der Korrespondenz formuliert wurde.

Unter dem Titel "Verzeichnis der Kupferplatten (Dachboden, Werkstätte, Tür 77)" existiert heute noch ein handschriftliches Inventar  aus dem Jahr 1903: Es weist 624 (nicht 617) Platten mit verschiedenen Nummern von 1 bis 1.000 aus, die alle in der ersten oder zweiten Serie der Physiotypia auch gedruckt worden waren. Alle Patrizen besitzen auf der Vorderseite links oder rechts unten eine spiegelverkehrt eingravierte Nummer zwischen 1 und 1.886 (soweit bekannt). Wurde die Platte tatsächlich gedruckt, findet sich auf der (unbehandelten) Rückseite eine weitere Zahl, die in schwarzer Schrift die Nummer der Tafel in der ersten Serie (1–500) bzw. in blauer Schrift die Nummer der Tafel in der zweiten Serie (501–1.000) angibt. Es ist somit anzunehmen, dass bereits vor 1856 rund 2.000 Kupferplatten hergestellt worden waren, aus denen dann die jeweils schönsten und systematisch wertvollsten für den Druck der ersten und zweiten Serie ausgewählt wurden. Der Bestand an Kupferplatten wurde in den Jahren 1920, 1952 (durch Lothar Hofmeister) und 2012 (durch Matthias Svojtka) revidiert. Dabei zeigt sich zwischen 1903 und 1920 der größte "Verlust" an Platten. Sie wurden möglicherweise Gästen des Instituts zum Geschenk gemacht oder zu privaten Dekorationszwecken aus der Sammlung entnommen. 1920 waren von den ursprünglich 624 Platten nur mehr 398, 1952 nur mehr 393 vorhanden. Aktuell befinden sich 391 Kupferplatten aus der ersten und zweiten Serie der Physiotypia, sowie 124 Platten, die niemals in Druck gegangen sind (und auch nicht im Inventar von 1903 aufscheinen) in der historischen Sammlung.

Ausstellungshinweis:

Das vorgestellte Objekt des Monats ist gemeinsam mit dem Druck und einem weiteren Objekt aus der Sammlung des ehemaligen Instituts für Pflanzenphysiologie ab 19. April 2019 im Rahmen der Ausstellung "VON PFLANZEN UND MENSCHEN – Ein Streifzug über den grünen Planeten"  im Deutschen Hygiene-Museum Dresden zu sehen.

Ort: Deutsches Hygiene-Museum Dresden 
Adresse: Lingnerplatz 1, 01069 Dresden, Deutschland
Dauer: 19. April 2019 – 19. April 2020
Öffnungszeiten: täglich außer Montag von 10–18 Uhr

Presseinformation zur Ausstellung (pdf, 177 KB)

Literatur:

G. BERNASCONI (2017): L’impression naturelle. Vérité de la nature, beauté de la création et techniques de reproduction de l’image entre le XVIIIe siècle et le début du XIXe siècle.- S. 94-110, in: N. Vuillemin & E. Dueck, Entre l’œil et le monde. Dispositifs d’une nouvelle épistémologie visuelle dans les sciences de la nature (1740-1840). Éditions Épistémocritique.
R. CAVE (2010): Impressions of Nature. A history of nature printing.- 191 S., London / New York (The British Library / Mark Batty Publ.). Exemplar im Bestand der UB Wien
K. KLINGER (2010): Ectypa plantarum und Dilettantismus um 1800. Zur Naturtreue botanischer Pflanzenselbstdrucke.- S. 80-96, in: O. Breidbach, K. Klinger & A. Karliczek, Natur im Kasten. Lichtbild, Schattenriß, Umzeichnung und Naturselbstdruck um 1800. Ernst-Haeckel-Haus, Jena. Exemplar im Bestand der UB Wien
S. PRETT & P. ÖSTLUND (2016): The nature-printer. A tale of industrial espionage, ferns and roofing-lead.- 171, XXXII S., Reigate (TimPress)
M. SVOJTKA (2014): Die Physiotypia plantarum austriacarum und ihre Kupfer-Patrizen an der Universität Wien.- S. 84-89, in: S. Weber-Unger (Hrsg.), Naturselbstdrucke. Dem Originale identisch gleich. Album Verlag, Wien. Exemplare im Bestand der UB Wien

Kupfer-Patrize von <em>„Rosa alpina“</em>

Text und Fotos: Mag. Matthias Svojtka