Japanisches Klapphandy (keitai)

Japanisches Klapphandy <em>(keitai)</em>

Panasonic 820P (SoftBank), 2007
Maße: 50 x 104 x 15,2 mm (zusammengeklappt)
Gewicht: 108 g (inkl. Akku)
Inventarnummer: Real_393
Aus der Japanologischen Sammlung des Instituts für Ostasienwissenschaften


Die Realiensammlung der Japanologie am Institut für Ostasienwissenschaften setzt sich aus einer bunten Vielfalt von Objektgruppen zusammen, unter anderem aus historischen Exponaten, wie zum Beispiel Kostümpuppen der Weltausstellung in Wien 1873 oder landwirtschaftlichen Geräten aus den 1960er Jahren. Großteils gelangen die Objekte durch Schenkungen an die Sammlung, jüngst auch neuere Objektgruppen der Kategorie "Pop-Kultur" oder Beispiele der gegenwärtigen Alltagskultur, wie das vorliegende Handy der Marke Panasonic (Modell 820P), das der Sammlung von einem Austauschstudenten übergeben wurde. Neben den Stichworten "Tradition" und "Handwerk" werden häufig "Technologie" und "Hypermoderne" mit japanischer Kultur assoziiert, und so soll das japanische Handy sowohl in die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie Einblick geben, als auch die gesellschaftlichen Einflüsse, die sich dadurch in der Sprache sowie in der materiellen Kultur ergeben haben, andeuten.

Das erste japanische Mobiltelefon – (keitai denwa), "tragbares Telefon", kurz (keitai) – kam 1987 auf den Markt. Mit knapp 1 kg Gewicht löste es das Vorgängermodell des dreimal so schweren "shoulder phone" ab. Diese Produkte waren anfangs auf die Zielgruppe Geschäftsleute ausgerichtet, doch wurde schon in den 1990er Jahren der Markt stark von der Jugendkultur geprägt: mit Funktionen wie personifizierten, zum Teil auch selbst komponierbaren Klingeltönen, Kamera- und Videoanwendungen und Spielen. Ab 1999 erlaubte die rudimentäre Internetnutzung etliche weitere Dienste (E-Mail, Fahrplansuche), und zur Jahrtausendwende gab es mehr Verträge für Handys als für Festnetztelefone. Das keitai wandelte sich von einem Kommunikationsapparat zu einem Modeobjekt und Freizeitinstrument, das neue kreative sprachliche Phänomene sowie Eigenheiten im äußeren Erscheinungsbild bewirkte.

So entwickelten sich in der schriftlichen Jugendsprache der Handy-Textmitteilungen die sogenannten kaomoji ("Gesicht-Zeichen"), die durch eine Kombination von (Sonder-)Zeichen unterschiedliche bildliche Botschaften wie zum Beispiel Freude: V(^o^)V übermitteln konnten. Das Versenden von bildlichen Informationen in Form der emoji ("Bild-Zeichen") – der Begriff hat mittlerweile auch in unseren Sprachgebrauch Eingang gefunden – wurde bald von den Handybetreibern selbst angeboten.

Ein anderes Phänomen, das sich durch den Handygebrauch vor allem jüngerer Frauen verbreitete, ist der sog. "Handyroman" (keitai shōsetsu). Dabei handelt es sich um serielle Geschichten, die zum Teil am Handy geschrieben und online veröffentlicht wurden, um von der Leserschaft - wiederum am Handy - gelesen zu werden (vor allem während der Pendelzeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln), noch bevor sie (nach ihrer Fertigstellung) gedruckt verfügbar waren. Was das Erscheinungsbild des keitai betrifft, so gehören Handyanhänger (keitai sutorappu) zum üblichen Zubehör, um das eigene Mobiltelefon individuell zu gestalten, beispielsweise mit kleinen Charakterfiguren oder anderen Accessoires. Manche sehen darin eine Fortsetzung der Kultur der netsuke .

Auch sind in Japan gewisse Handymodelle üblich und populär, die außerhalb des Landes weniger Verbreitung gefunden haben, wie eben jenes vorliegende Klapphandy, das auch "gara-kei" (kurz für "Galapagos-keitai") genannt wird. Diese Bezeichnung leitet sich vom sogenannten "Galapagos-Syndrom" ab, und beschreibt die Tatsache, dass einige bestimmte Modelle allein in Japan Anklang finden - so, wie einst Darwin allein auf den Galapagos-Inseln eigentümliche Arten fand. Mit der Einführung des iPhone 2007 und anderer Smartphones (Jap. sumaho), sowie der damit einhergehenden voll umfänglichen Nutzung des Internets und mobiler Apps, wurde die japanische Handykultur (keitai bunka) zurückgedrängt bzw. globalisiert: heute findet man viele der früher spezifisch japanischen Aspekte und Entwicklungen weltweit auf fast allen Smartphones.

Weiterführende Literatur:

ITO, Mizuko; OKABE, Daisuke; MATSUDA, Misa: Personal, portable, pedestrian: mobile phones in Japanese life. Cambridge, Mass. [u.a.] : MIT Press ; 2005. Exemplar im Bestand der UB Wien, auch elektronisch verfügbar 

PEIL, Corinna: Mobilkommunikation in Japan: Zur kulturellen Infrastruktur der Handy-Aneignung. Bielefeld: transcript. 2011. Exemplar im Bestand der UB Wien, auch elektronisch verfügbar 

Text: Dr.in Isabelle Prochaska-Meyer; Foto: Florian Purkarthofer, BA MA