Fotografie der Giebel am Stephansdom

Fotografie der Giebel am Stephansdom

Josef Wlha (1842–1918), um 1880
Barytpapier auf Karton
Maße: 26,8 x 21,3 cm; Karton: 32,6 x 24,8 cm
Inventarnummer: 163561
Aus der Fotothek des Instituts für Kunstgeschichte


In der Fotosammlung des Instituts für Kunstgeschichte ist eine alte Aufnahme vom Wiener Stephansdom erhalten, die zum Ausgangspunkt einer umfangreichen Recherche wurde: Die Fotografie zeigt die drei mit gotischem Maßwerk geschmückten Giebel am südlichen Langhaus. Links sieht man den berühmten Friedrichsgiebel aus dem 15. Jahrhundert, rechts daneben die beiden Giebel, die unter Dombaumeister Leopold Ernst  (1808–1862) in den Jahren 1853 bis 1855 ergänzt wurden. Auffällig ist der schlechte Erhaltungszustand des östlichen Giebels ganz rechts. Die Kreuzblume fehlt und ebenso einige Krabben an der Außenkante des Giebels. Auch die Fiale zwischen den beiden neueren Giebeln weist Fehlstellen auf.

Offenbar handelt es sich um die fotografische Bestandsaufnahme eines Bauschadens, der ab 1882 aufwendig restauriert wurde. Laut Gutachten des Dombaumeisters Friedrich von Schmidt  (1825–1891) hatte sein Vorgänger den modernen Portlandzement  verwendet, der zur Befestigung von Naturstein nicht geeignet war. Rätselhaft bleibt der Standort des Fotografen, der seine Kamera ungefähr auf gleicher Höhe wie die Giebel positioniert hatte. Vermutlich machte er die Aufnahme mit einem Teleobjektiv vom Dach des gegenüber liegenden Curhauses am Stephansplatz 3.

Die Bleistiftmarkierungen auf dem Karton zeigen, dass die Aufnahme als Druckvorlage gedient hat. Die Fotografie ist im Negativ beschriftet. Neben dem Titel ist, wenn auch nur schwer lesbar, der Name des Fotografen genannt: "Phot. Josef Wlha, Baden-Wien". Bei der Digitalisierung der Fotosammlung konnten wir feststellen, dass das Institut für Kunstgeschichte auffallend viele Aufnahmen dieses Fotografen besitzt, über dessen Biografie bislang nur wenig bekannt ist.

Josef Wlha wurde am 26. September 1842 in Schelleschowitz (heute: Šelešovice) in Mähren geboren. Er war kein Pionier der Fotografie sondern gehörte zu jener Generation, die bereits über eine fortgeschrittene Technik verfügte, die das Fotografieren auf Reisen ermöglichte. 1878 gründete er in Gersthof eine "Photographische Anstalt", die er später zu einem Verlag ausbaute. Wlha spezialisierte sich auf Architektur- und Kunstfotografie. Porträtaufnahmen aus seinem Atelier sind bislang nicht bekannt. 1885 publizierte er eine Mappe mit vierzig Lichtdrucken nach Aufnahmen vom Belvedere in Prag. Das Vorwort verfasste der Kunsthistoriker und Barockspezialist Albert Ilg  (1847–1896). In gleicher Weise entstand 1898 eine Mappe mit 54 Aufnahmen der Miniaturen aus dem Psalterium der heiligen Elisabeth mit Erläuterungen von Prof. Heinrich Swoboda  (1861–1923), dem späteren Rektor der Universität Wien. 1902 folgte die Mappe mit 53 fotografischen Tafeln zum Dom von Parenzo, für dessen Vorwort Wlha den kunstsinnigen Theologen Wilhelm Anton Neumann  (1837–1919) gewinnen konnte, der wenige Jahre später auch einen Vortrag über die Restaurierungen am Wiener Stephansdom veröffentlichte.

Auf jeden Fall war Josef Wlha so sehr mit Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft verbunden, dass er seinen fotografischen Nachlass testamentarisch dem Institut für Kunstgeschichte vermachte, als er nach langer Krankheit am 14. Januar 1918 in Baden bei Wien starb. Das aus ca. 6.200 Glasplatten bestehende Vermächtnis war vom Institut und seinen Mitarbeitern jedoch nicht zu bewältigen und wurde bereits im Sommer 1919 der Österreichischen Lichtbildstelle übergeben. Vertraglich wurde vereinbart, dass das Legat im Eigentum der Universität Wien verbleibt und ein Teil der Einkünfte aus dem Geschäft mit Papierabzügen und Veröffentlichungsrechten dem Institut für Kunstgeschichte zusteht. Außerdem sollten von allen Glasplatten Papierabzüge angefertigt werden. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass der Vertrag nicht erfüllt werden konnte.

Als 1938 die Österreichische Lichtbildstelle in die Österreichische Nationalbibliothek integriert wurde, gelangten auch die Glasnegative aus dem Nachlass Josef Wlhas dorthin und gerieten in Vergessenheit. Eher zufällig ist der Autor dieses Beitrags im Zuge von Recherchen zur Geschichte der Fotosammlung auf das Wlha'sche Erbe und den Verbleib der Glasnegative gestoßen. Im Sommer 2018 wurden die Glasnegative von den Fotografen des Instituts für Kunstgeschichte digitalisiert und stehen nun in unserer Bilddatenbank UNIDAM zur weiteren Beforschung bereit.

Quellen:

Archiv des Instituts für Kunstgeschichte, Institutsakten Karton I, Mappe 2 "Wlha".

Weiterführende Literatur:

BÖKER, Johann Josef: Der Wiener Stephansdom – Architektur als Sinnbild für das Haus Österreich. Salzburg : Wien [u.a.] : Pustet ; 2007, S. 193–197. Exemplare im Bestand der UB Wien

NEUMANN, Wilhelm Anton: Alte und neue Restaurationen am St. Stephansdome. In: Wiener Diözesanblatt, Heft 9 (1906), S. 104f. Zeitschrift im Bestand der UB Wien, dieser Betrag als PDF.

STARL, Timm: Lexikon zur Fotografie in Österreich 1839 bis 1945. Wien : Album, Verl. für Photographie, 2005. Exemplare im Bestand der UB Wien

Text: Dr. Martin Engel; Fotograf: Josef Wlha