Fotografie von Emma (1864–1941) und Felix von Luschan (1854–1924)
»Kwassi Togo Junge«, Berlin um 1900
Albumin auf Karton
Maße: 20,7 x 12,1 cm (Fotografie) auf 26,2 x 20 cm (Karton)
Aus der Sammlung des Departments für Evolutionäre Anthropologie
Kwassi Bruce (1893–1964) kam im Alter von drei Jahren im Rahmen der Ersten Deutschen Kolonialausstellung aus Togo nach Berlin. Seine afrikanische Familie zog als selbstständiges Tourneeunternehmen zu anderen Völkerschauen weiter und ließ ihn zur Ausbildung in Berlin zurück, wo ihn das Ehepaar Antelmann vom Deutschen Kolonialhaus in Pflege nahm (Brändle 2007, S. 150–152). Zusammen mit weiteren Jungen aus den damaligen deutschen Kolonien in Ozeanien und Afrika, musste er als »exotische« Attraktion im Verkauf von importierten Kolonialwaren auch Kinderarbeit leisten (Aitken / Rosenhaft 2013, S. 57). Um 1900 besuchten Emma und Felix von Luschan das Haus Antelmann, um seine Zöglinge anthropologisch zu untersuchen und zu fotografieren (Zeller 2002, S. 91) – jeweils im reformpädagogischen Matrosenanzug. Das besondere musikalische Talent von Kwassi Bruce wurde früh erkannt und nach dem Gymnasium absolvierte er eine Ausbildung zum Konzertpianisten am renommierten Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin. Im Alter von 20 Jahren reiste er erstmals in sein Geburtsland Togo zurück, um seine leibliche Mutter kennenzulernen. Dort wurde er vom Ausbruch des Ersten Weltkrieg überrascht, diente 1914 freiwillig in der deutschen Schutztruppe und strandete auf seinem Rückweg in Spanien (Brändle 2007, S. 154–155).
Erst 1920 nach Berlin zurückgekehrt, arbeitete er zunächst als Pianist und Kapellmeister, unter anderem an der Charlottenburger Oper. 1926 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Danach wendete er sich von der klassischen Musik ab und gründet eine im In- und Ausland erfolgreiche Jazzband. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zunehmend rassistischen Repressionen ausgesetzt, wandte sich Kwassi Bruce 1934 in einer zehnseitigen Denkschrift an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Darin forderte er eine finanzielle Unterstützung für die zunehmend in Not geratenen Menschen aus den ehemaligen deutschen Kolonien und forderte in deren Namen Respekt für ihre Verdienste um Deutschland, etwa als Soldat*innen im Ersten Weltkrieg, ein (Bruce 1934, S. 91–100). Der damalige Leiter der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts, Edmund Brückner (1871–1935), ein vormaliger Gouverneur von Togo (Jacob 1955, S. 656), zirkulierte einen Durchschlag dieses Schreibens, da er eine Verärgerung von Afrikaner*innen aus den ehemaligen deutschen Kolonien für unvorteilhaft hielt – wollte man diese Gebiete doch wiedergewinnen (Brückner 1933, S. 85).
Ebenfalls aus kolonialrevisionistischen Gründen unterstützten die Behörden zunächst eine 1936 von Kwassi Bruce und Adolf Hillerkus ins Leben gerufene Deutsche Afrika-Schau, eine Mischung aus musikalischem Varieté und Völkerschau (Aitken / Rosenhaft 2013, S. 252), in welcher viele Afrodeutsche eine gesicherte Beschäftigung und Schutz vor Zwangsarbeit oder Internierung fanden (Thode-Arora 2021, S. 50). In lockerem Ton sprachen sie ihr Publikum mit »Landsleute, deutsche Volksgenossen« an, verglichen ihre dargebotenen afrikanischen Tänze mit dem bayerischen Schuhplatteln und betonten, dass sie entweder gar nie in den Kolonien oder seit ihrer Kindheit in Deutschland gewesen seien. Damit entsprachen sie nicht ihrer Rolle als »loyale Wilde« und gerieten ins Visier des Kolonialpolitischen Amtes (Forgey 1994, S. 31). Als dieses eingriff und die Wanderschau zunehmend als Propaganda- und Überwachungsmittel nutzte, verließ Kwassi Bruce 1937 Deutschland in Richtung der damaligen britischen Kolonie Nigeria, mit dem Ziel, im Deutschen Konsulat von Lagos zu arbeiten (Brändle 2007, S. 160). Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er dort aufgrund seine deutschen Passes verhaftet und nach Togo ausgeliefert, das unter französischer Mandatsherrschaft stand und ihn in Kriegsgefangenschaft nahm (Bernhard / Lewerenz 2019, S. 89).
In der Nachkriegszeit kehrte Kwassi Bruce noch einmal nach Berlin zurück, wo er etwa in der 1949 eröffneten Pinguin-Bar auftrat, die von einer kosmopolitischen Belegschaft betrieben wurde. Seinen Musiker*innen aus der afrikanischen Diaspora, die Krieg und Verfolgung überlebt hatten, wurde der Jazzclub zum Zufluchtsort, der neben dem musikalischen Austausch auch eine Existenzgrundlage bot. Nach der behördlichen Schließung der Pinguin-Bar 1951 verließ Kwassi Bruce mit seiner jungen Familie, die während des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz geflüchtet war, Berlin für immer. In Paris trat er bis zu seinem Lebensende als vielseitiger Pianist mit verschiedenen Größen der Jazzwelt auf, so etwa in der Band Les Pirates du Rythme der aus Martinique stammenden Sängerin Jenny Alpha (1910–2010) (Vernhettes et al. 2016, S. 56–57). Im Jahr 2023 wurde im Rahmen der Berliner Festspiele die Pinguin-Bar vom senegalesischen Musikerduo Alibeta und Ibaaku in einem breiten Programm reinszeniert, um nach über 70 Jahren afrikanische Spuren und Präsenz in Deutschland sichtbar zu machen.
Der besondere Dank der Autorin gilt der Wiener Musikjournalistin, -moderatorin und Kuratorin Dalia Ahmed, die in einem Videogespräch die Aktualität von Kwassi Bruces bewegter Biografie greifbar gemacht hat, dem britischen Historiker Robbie Aitken für den großzügigen Austausch, auch von raren Leihgaben aus seiner privaten Sammlung, sowie dem Schweizer Autor Andreas Bürgi, dessen Engagement einen Kontakt zur Familie Bruce ermöglicht hat.
Zur Zeit ist dieses Portrait neben weiteren Fotografien aus der Sammlung im Rahmen einer Ausstellung zu sehen, die von der Autorin dieses Beitrags kuratiert und aktuell verlängert wurde:
Auftreten im Bild. Positionen im kolonialen Kräftefeld
Photoinstitut Bonartes
Seilerstätte 22, 1010 Wien
Öffnungszeiten: gegen Voranmeldung
Dauer der Ausstellung: 26.07.2024 – 17.01.2025
Anstelle einer Publikation sind in der Ausstellung Videogespräche mit Nachfahr*innen der porträtierten Personen, sowie mit Kunst- und Wissenschaftshistoriker*innen zu sehen.
AITKEN, Robbie / ROSENHAFT, Eve: Black Germany: The Making and Unmaking of a Diaspora Community, 1884–1960, Cambridge, New York: Cambridge University Press 2013. Exemplar im Bestand der UB Wien
BERNHARD, Philipp / LEWERENZ, Susann Lewerenz: Verflechtungen. Koloniales und rassistisches Denken und Handeln im Nationalsozialismus: Voraussetzungen, Funktionen, Folgen. Materialien für die Bildungsarbeit (=Neuengammer Studienhefte 5), Hamburg: KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Zusammenarbeit mit der Universität Augsburg und der Universität Hamburg 2019. Online verfügbar
BRÄNDLE, Rea: Nayo Bruce. Geschichte einer afrikanischen Familie in Europa. Zürich: Chronos 2007. Nachweise im Katalog des Österreichischen Bibliothekenverbunds (OBV)
BRUCE, Kwassi: Schreiben an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, Herbst 1934; Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Akten des Reichskolonialamtes, BArch R1001/7562, S. 91–100.
BRÜCKNER, Edmund: Schreiben an den Reichsfinanzminister, 31. Mai 1933; Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Akten des Reichskolonialamtes BArch R1001/7562, S. 85.
FORGEY, Elisa: »›Die große Negertrommel der kolonialen Werbung‹: Die Deutsche Afrika-Schau 1935–1943«. In: Werkstatt Geschichte, 3. Jg. (1994), Nr. 3, S. 25–33. Online verfügbar
JACOB, Ernst Gerhard: »Brückner, Edmund«. In: Neue Deutsche Biographie, 2. Bd. (1955), S. 656. Online verfügbar
SPIELPLAN der Berliner Festspiele: The Pinguin Bar – African Resilience and Presence, Berlin: Festival »Performing Exiles« 2023 (zuletzt besucht am 30. September 2024).
THODE-ARORA, Hilke: »The Hagenbeck Ethnic Shows: Recruitment, Organization, and Academic and Popular Responses«. In: Demski, Dagnosław / Czarnecka, Dominika (Hg.): Staged Otherness: Ethnic Shows in Central and Eastern Europe, 1850–1939, Budapest, Wien,New York: Central European University Press 2021, S. 45–75. Online verfügbar
VERNHETTES, Dan / GOUDIE, Christine / BALDWIN, Tony: Big Boy. Vie et musique de Frank Goudie. Saint Étienne du Rouvray: Jazzedit 2016. Webeintrag auf "jazzresearch.se"
ZELLER, Joachim: Das »Deutsche Kolonialhaus« in der Berliner Lützowstraße. In: Heyden, Ullrich van der / Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin: Berlin Edition 2002, S. 84–93. Exemplar im Bestand der UB Wien
Text: MMag.a Katarina Matiasek | Fotografie: © Universität Wien