Der laufende Umbau der Hauptbibliothek der Universität Wien bietet nicht nur Anlass zur Vorfreude, sondern auch zu einer faszinierenden Rückschau: Denn ihre letzte große Umgestaltung erfuhr die Hauptbibliothek Ende der 1960er Jahre. Zwei historische Fernsehbeiträge der ORF-Sendung "Kultur Aktuell" berichten eindrucksvoll aus dieser Zeit:
Die Hauptbibliothek wurde 1969 nach vierjährigen Umbau-Arbeiten und einem Kostenaufwand von 45 Millionen Schilling zu einer der "modernsten Universitätsbibliotheken in Europa" (Kultur Aktuell, 1969). Auch der heutige Umbau kostet rund 45 Millionen - allerdings Euro, wohlgemerkt. Mit einer voraussichtlichen Umbaudauer bis 2027 ist man heute immerhin ein Jahr schneller.
"Schon 1884, als auch die Universitätsbibliothek ins neu errichtete Gebäude am Ring übersiedelte, hatte man über Raumnot geklagt." - Kultur Aktuell, 1969
Damalige Umgestaltungsgründe lassen sich allerdings eins zu eins ins Heute übertragen: Es ist die Rede von einem "ständige[n] Mangel an Lesesaalplätzen" sowie dem laufenden Bücherzuwachs - nur allzu aktuelle Herausforderungen, denen sich die Universitätsbibliothek Wien über die Jahrzehnte hinweg immer wieder stellen muss(te).
Der 1960er-Jahre-Umbau brachte so einige Neuerungen: Dem Platzmangel wurde mit dem Einzug einer Zwischendecke begegnet (Schaffung eines "Kleinen Lesesaals" für circa 100 Besucher*innen) und der Zettelkatalog für die gesamte Literatur ab 1932 in schicken Kateikästchen im Foyer untergebracht. Die Einrichtung eines Mikrofilm-Raumes vermag "die auf allen Sektoren betriebene Modernisierung deutlich zu demonstrieren" (Kultur Aktuell, 1969). Während ein Fernschreiber zahlreiche Bestellungen aus dem Ausland kommuniziert, steht der Entlehnung ein "modernes, schnell funktionierendes Karteisystem zur Verfügung" (Kultur Aktuell, 1971). Dieses wurde nebenbei bemerkt 1986 auf ein automationsunterstütztes System umgestellt.
Die im Zuge des Umbaus in den 1960ern fertiggestellten 11-geschoßigen Büchertürme schufen damals Platz für 1,2 Millionen Bücher, doch diese Stellplätze blieben nicht lange leer. Während 1971 noch die Rede von einer Bestandsvergrößerung von 30.000 Bänden pro Jahr war, wuchs die Hauptbibliothek laufend weiter - trotz vermehrtem digitalen Angebot auch 2022 bis 2023 immerhin noch um 17.641 physische Bände.
Im Zuge des heutigen Umbaus siedeln nun insgesamt 2,7 Millionen Bücher in ein neues Depot in Floridsdorf, wo sie ideale Lagerbedingungen erwarten. Zudem kann das Depot bei laufendem Betrieb erweitert werden, ist also besser für zukünftiges Wachstum gerüstet als das historische Hauptgebäude.
Durch die Übersiedlung der Bücher kann die Bibliothek dem dringenden Bedarf an Lese- und Lernplätzen nachkommen, welche durch den heutigen Umbau auf knapp 1000 verdoppelt werden.
"Endlos erscheinende Gänge an vollen Magazinen entlang dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bildungsexplosion durch ein ständiges Wachstum Rechnung zu tragen ist." (Kultur Aktuell, 1971)
Eingangs des Beitrags von 1971 schildert der damalige Direktor Friedrich Rennhofer eindringlich, wie die UB durch "Wissenschaftsexplosion" und die "starke[] Vermehrung der Studentenzahlen" an ihre Grenzen stößt. Natürlich konnte diesen Umständen über die Jahrzehnte hinweg durch zahlreiche Maßnahmen und Modernisierungen begegnet werden.
Der heutige Umbau der Hauptbibliothek ist aber letztlich auch ein weiterer Schritt in einem nie endenden Prozess: Wissen wächst, muss gesammelt und erhalten werden. Und auch der Blick zurück erinnert uns, wie eine Universitätsbibliothek ständig mit der Zeit gehen, "wachsen" und nach bestmöglichen Räumlichkeiten streben muss - für ihre Bestände sowie ihre Nutzer*innen.
Wir danken dem ORF und dem ORF-Archiv für die freundliche Zurverfügungstellung der Beiträge.