Zweikreisiger Reflexionsgoniometer der Fa. R. Fuess (Steglitz bei Berlin, 1880)
Metall, Glas
Aus der Mineraliensammlung am Institut für Mineralogie und Kristallographie
Jeder Kristall (im Unterschied zu einer nicht kristallisierten Materie wie etwa Glas), egal ob natürlich gebildet oder synthetisch hergestellt, ob anorganischer oder organischer Zusammensetzung, weist eine regelmäßige Atomanordnung auf. Erst diese charakterisiert neben der chemischen Zusammensetzung eine Phase eindeutig. Typischerweise kommt es bei Mineralen und vielen chemischen Verbindungen zu einer regelmäßigen Wiederholung der atomaren Baueinheiten nach etwa 5 bis 50 Å (1 Å = 10-10 m), diese kann bei organischen Verbindungen auch weit darüber liegen. Allen Kristallen ist jedoch gemeinsam, dass die Atomanordnung auch mit guten Mikroskopen (selbst mit dem Elektronenmikroskop) nicht auflösbar ist und man auf andere, indirekte Beobachtungen angewiesen ist. Heute werden die Atomanordnungen (Kristallstrukturen) sowie ihre Symmetrie mit Beugungsmethoden (unter Einsatz von Röntgen-, Elektronen-, oder Neutronenstrahlung) aufgeklärt; diese stellen neben spektroskopischen Untersuchungsmethoden wichtige Grundlagen für viele technische Anwendungen dar.
Vor 1912 war eine Aufklärung von Kristallstrukturen (der Bestimmung der Atompositionen in einem Kristall) nicht möglich. Der regelmäßige innere Bau eines Kristalls findet allerdings in der äußeren morphologischen Form seine Abbildung. Unter günstigen Wachstumsbedingungen werden Kristalle von regelmäßigen Kristallflächen begrenzt. Diese äußeren Begrenzungsflächen verlaufen parallel zu den mit Atomen dicht besetzten Ebenen im inneren des Kristalls. Ein Studium der Kristallgestalt (Morphologie) kann jedenfalls einige Einblicke in die Regelmäßigkeit des Strukturgerüsts geben, wenn auch keinerlei Information über die tatsächliche Kristallstruktur (Atomanordnung) liefern. Allerdings bildet sich beim natürlichen Wachstum und auch bei künstlich gezüchteten Kristallen nur selten ein vollkommen regelmäßig begrenzter und ideal ausgebildeter Körper aus, meist ist der Kristall mehr oder minder stark verzerrt. Im Allgemeinen sind nicht alle Flächen vollständig ausgebildet und die Größe der einzelnen Kristallflächen kann sehr unterschiedlich sein.
Trotz der unregelmäßig scheinenden Ausbildung der Flächen bei Kristallindividuen bleiben jedoch die Orientierungen der Flächen zueinander streng erhalten, sie beruhen ja - wie wir heute wissen - auf dem regelmäßigen inneren atomaren Aufbau. Änderungen ergeben sich durch äußere Einflüsse, etwa durch Temperaturschwankungen oder die Änderung des Chemismus. Erste Messungen zur Orientierung von Kristallflächen hatte bereits der dänische Naturwissenschafter Niels Stensen (später nannte er sich Nicolaus Steno, 1638–1687) im Jahr 1669 durch Vermessung von Quarzkristallen erkannt. Allgemein formuliert wurde das fundamentale Gesetz der Winkelkonstanz - gleiche Flächen gleicher Verbindungen schließen bei gleichen äußeren Bedingungen gleiche Winkel ein - nach weiteren wichtigen Vorarbeiten durch Torben Olaf Bergman (1735–1784) endgültig von dem französischen Mineralogen Jean Baptiste Louis Rome de L'Isle (1736–1790).
Anfangs bediente man sich lediglich eines Winkelmessers mit zwei gegeneinander bewegbaren Schenkeln zum Studium der gegenseitigen Lage der einzelnen Kristallflächen. Der Engländer William Hyde Wollaston (1766–1828) entwickelte 1809 ein Goniometer, durch das mit Hilfe von an Kristallflächen reflektierten Lichtstrahlen die Winkel zwischen den einzelnen Flächennormalen gemessen werden konnten: das Reflexionsgoniometer war geboren. In der Folgezeit haben verschiedene Wissenschaftler dieses Instrumentarium weiterentwickelt, wobei jedoch das Messprinzip stets das gleiche blieb. Eilhard Mitscherlich (1794–1863) fügte dem ursprünglichen Instrument ein Fernrohr hinzu, um so die Messgenauigkeit zu erhöhen.
Beim hier abgebildeten zweikreisigen Reflexionsgoniometer der Fa. R. Fuess (Steglitz bei Berlin) aus dem Jahr 1880 kann der Kristall um zwei aufeinander senkrecht stehende Drehachsen bewegt werden. Damit ist es möglich, jede beliebige Fläche des Kristalls in Reflexionsstellung zu bringen. Das Lichtsignal wird über einen Kollimator (oben rechts im Bild) auf den Kristall eingestrahlt. Die Beobachtung wird durch das Fernrohr (oben links im Bild) ermöglicht. Alle Drehachsen sind arretierbar, Feinverstellungen und Nonien, die mit Lupen ablesbar sind, ermöglichen die exakte Bestimmung der Winkel. Die Ablesung kann in günstigen Fällen bei gut reflektierenden Kristallflächen mit einer Genauigkeit von wenigen Bogenminuten vorgenommen werden. Der Kristall ist parallel zu einer vertikalen Drehachse mit verbundenem, horizontal stehendem Teilkreis so justiert, dass die Schnittkante der beiden zu messenden Flächen genau parallel zur Drehachse liegt. Das gespiegelte Signal wird für beide Flächen nacheinander eingestellt, die Winkeldifferenz zwischen diesen Einstellungen entspricht direkt dem Normalenwinkel der beiden Flächen. - Vor der Entdeckung der Beugung von Röntgenstrahlung an den Atomen eines regelmäßig aufgebauten Kristallgitters war dies eine wichtige Möglichkeit, Kristalle zu vermessen und zu charakterisieren.
Text und Foto: Ao. Univ.-Prof. Dr. Herta Silvia Effenberger