Meinrad Lichtensteiner OSB als Rektor der Universität Wien

Meinrad Lichtensteiner OSB als Rektor der Universität Wien

Öl auf Leinwand, um 1826
Künstler unbekannt
Maße: 43 x 34 cm (ohne Rahmen)
Aus dem Archiv der Universität Wien


Im Jänner 2016 konnte das Universitätsarchiv für die Universität Wien ein im Kunsthandel angebotenes Rektorenporträt erwerben. Dieses Gemälde war den früheren Forschungen zur Rektorengalerie der Wiener Alma Mater nicht bekannt und kann daher als Neu-Entdeckung gelten. Bei Ankauf des Gemäldes stand zunächst nur fest, dass es sich wohl um einen Rektor der Universität Wien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts handeln musste. Weder die dargestellte Person, noch der Künstler waren bekannt. Das Gemälde selbst gibt keine eindeutigen Hinweise, denn es besitzt keinerlei Aufschrift oder Signierung. Nur die Attribute des Porträtierten, nämlich der geistliche Habit und die Amtskette des Rektors, welche 1804/05 eingeführt wurde und bis heute in Gebrauch ist, dienten neben der stilistischen Einordnung in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts als erste Ansatzpunkte für eine Recherche. Schon kurz nach Erwerb des Bildes konnte zumindest die Frage geklärt werden, welche Person dargestellt ist: Es handelt sich um den Benediktinerpater Meinrad Lichtensteiner (1759–1834), welcher dem Schottenstift angehörte und von 1807 bis zu seinem Tod als Präfekt das Schottengymnasium leitete. Gegen Jahresende 1825 wurde er zum Universitätsrektor gewählt; die Funktionsperiode umfasste zu dieser Zeit ein Jahr.

Die Identifizierung des Porträtierten war mit Hilfe einer Lithografie möglich, welche sich schon lange im Besitz des Universitätsarchivs befindet und wohl in ganz engem Zusammenhang mit dem angekauften Gemälde steht. Die Grafik zeigt ein beinahe identisches Porträtbild, nur mit einer der Drucktechnik geschuldeten Spiegelung. Dazu konnte auch eine 1830 im Druck erschienene Notiz aufgefunden werden, welche die interessierte Öffentlichkeit darauf aufmerksam machte, dass bei dem Buchhändler Bauer im Schottenstift nunmehr "des guten Vaters Meinrad Bild" (Dr. Meinrad Lichtensteiner) als eine "nach einem Originalgemälde" hergestellte Lithografie käuflich zu erwerben ist. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dieses "Originalgemälde" eben jenes Bild ist, welches sich nunmehr im Universitätsarchiv befindet. Damit lässt sich auch sein Entstehungszeitraum mit den Jahren 1826 und 1830 eingrenzen.

Leider konnte der Maler bislang nicht namhaft gemacht werden. Weder im Universitätsarchiv, noch im Archiv oder der Gemäldesammlung des Schottenstiftes konnten schriftliche Zeugnisse zur Entstehung oder Existenz dieses Gemäldes gefunden werden. Wenigstens der Schöpfer der Lithografie ist bekannt: Es handelt sich um Friedrich Johann Lieder (1780–1859), welcher sich auch als Porträtmaler einen Namen gemacht hatte und Mitglied der Wiener Akademie der bildenden Künste war. Vielleicht war er auch der Schöpfer des der Lithografie zugrunde liegenden "Originalgemäldes"; Gewissheit darüber besteht jedoch bislang nicht.

Das Rektorenporträt Lichtensteiners ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Es besitzt eine unzweifelhafte künstlerische Qualität, ist jedoch insofern ungewöhnlich, als es zur Zeit seiner Entstehung nicht mehr üblich war, an der Universität Wien eine eigene Rektorengalerie zu führen. Erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hat man die um die Mitte des 18. Jahrhunderts abgekommene Praxis einer eigenen Galerie mit Rektorenporträts wieder eingeführt. Somit ist eine Anfertigung im Auftrag der Universität eher auszuschließen, umso mehr, als 1823 von der Regierung sogar dekretiert wurde, dass zur Ehrung von Professoren und Lehrern keine Ehrenbezeugungen durch Bildnisse vorgenommen werden dürften. Tatsächlich ist die Zahl der bisher bekannten Rektorenbilder aus der Zeit des Vormärz gering.

Das Porträt führt in eine Epoche der Universitätsgeschichte, in der nicht Professoren, sondern Angehörige der Doktorenkollegien für das Amt des Universitätsrektors und der Fakultätsdekane wählbar waren. Meinrad Lichtensteiner war kein großer Gelehrter oder Wissenschafter, jedoch ein hoch gebildeter Mann, dessen umfangreiche Bibliothek und Münzsammlung Aufmerksamkeit erregten. Neben der Präfektur des Schottengymnasiums wurde er von der Regierung 1820 auch zum Vizedirektor der niederösterreichischen Gymnasien bestellt. Er stand im Ruf der Mildtätigkeit, was ihm die ehrende Bezeichnung "guter Vater Meinrad" eintrug. Als junger Geistlicher hing er josephinischem Gedankengut an, was ihn im Zeitalter der einsetzenden Restauration sogar in größte Schwierigkeiten brachte: 1794 wurde er gemeinsam mit seinem Freund und Gönner, dem späteren Schottenabt Andreas Wenzel (1759–1831), seinem Bruder, welcher ebenfalls die geistliche Laufbahn eingeschlagen hatte, sowie zwei anderen Priestern verhaftet, weil er im Verdacht stand, durch seine Predigten eine angebliche Jakobinerverschwörung begünstigt zu haben. Erst 1796 wurde er auf höchste Intervention rehabilitiert.


Weiterführende Links:

Die Porträts von Meinrad Lichtensteiner im Archivinformationssystem der Universität Wien:

http://scopeq.cc.univie.ac.at/Query/detail.aspx?ID=361342  (Ölgemälde)
http://scopeq.cc.univie.ac.at/Query/detail.aspx?ID=62581  (Lithografie)

Text und Foto: HR Mag. Thomas Maisel, MAS