Replik eines ägyptischen Kalksteinreliefs aus der Amarna-Zeit mit dem Kopf Amenophisˈ IV./Echnatons (1351-1334 v. Chr.), 1. Hälfte 20. Jh.
Von der GESTAPO im Juli 1938 an das damalige Institut für Ägyptologie und Afrikanistik übergeben; im April 2017 als erbloses Gut an den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus übertragen und in Folge von der Universität Wien angekauft
Gips, bemalt
Maße: H. 17 cm, Br. 12 cm
Hersteller: Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Inv.-Nr.: 141
Aus der Ägyptischen Sammlung
Im Rahmen der NS-Provenienzforschung an der Universität Wien wurden 2010 fünf Objekte aus der Sammlung des Instituts für Ägyptologie der Universität Wien eindeutig als Raubgut klassifiziert und die Restitution empfohlen. Grund dafür war, dass Ende Juli 1938 zwölf Objekte von der Gestapo an das damalige Institut für Ägyptologie und Afrikanistik der Universität Wien übergeben worden waren, was auch bei der Inventarisierung akribisch festgehalten wurde. So heißt es bei den Inventarnummern 133 bis 144 im Erwerbungsvermerk: „Von der Gestapo übergeben am 30. Juli 1938““ (siehe Foto ganz unten). Überhaupt profitierte die Universität Wien in der NS-Zeit von Büchern, Bibliotheken aber auch Sammlungsobjekten, die bei gezielten Kunstraubzügen des NS-Regimes oder nach Enteignungen religiös, rassisch oder politisch verfolgter Personen und Institutionen anfielen, und so in ihre Bibliotheken und Sammlungen gelangten.
Die Universitätsleitung hat aufgrund der eingangs genannten Empfehlung entschieden, die über die Jahrzehnte noch erhalten gebliebenen fünf geraubten Repliken an die Eigentümerinnen und Eigentümer bzw. deren Rechtsnachfolgerinnen und -nachfolger zurückzugeben. Ergänzende Recherchen an den Sammlungen der Universität Wien haben im Rahmen der NS-Provenienzforschung ergeben, dass die Objekte anhand ihrer Formnummern als Repliken aus der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz , identifiziert werden konnten. Solche Gipsabgüsse werden dort auch heute noch produziert.
Da jedoch keine Zuordnung zu Vorbesitzern oder Vorbesitzerinnen, etwa anhand von Verkaufsunterlagen oder Produktionschargen, mehr möglich war, die Objekte selbst keinen unikalen Charakter haben, und auch keine diesbezüglichen Informationen, etwa durch weitere Quellenfunde, zu erwarten sind, wurden sie als erbloses Gut an den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus zur Verwertung übertragen und im April 2017 – diesmal legal – von der Universität Wien wiedererworben. Im Rahmen des 17. Sammlungstreffens am 2. Juni 2017 werden die fünf Gipsabgüsse wieder an die Sammlung des Instituts für Ägyptologie der Universität Wien übergeben.
Das Originalrelief aus Kalkstein befindet sich im Ägyptischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin und trägt die Inventarnummer 14512. Der genaue Fundort ist unbekannt, vermutlich stammt es aus der Residenz des Pharaos Echnaton bei dem heutigen Ort Tell el-Amarna in Mittelägypten (der Ortsname wurde namensgebend für die gesamte Epoche). Bei diesem Stück handelt es sich möglicherweise um eine Reliefstudie von antiken Bildhauern, wie sie aus dieser Zeit gut bekannt sind, doch kann dies aufgrund des Ausschnitts nicht mit Sicherheit gesagt werden. Es könnte sich auch um einen Teil einer größeren Darstellung handeln. Das versenkte Relief zeigt den, vom Betrachter aus gesehen, nach rechts gewendeten Kopf des Königs im expressiven Stil der frühen Amarna-Zeit. Typisch dafür sind das hagere Gesicht mit stark betonten Wangenknochen und einer ausgeprägten Nasolabialfalte, der dünne, lange Hals mit markantem Knick und Falten, das nach unten gezogene Kinn, volle Lippen sowie schmale, schräg stehende Augen und die kreisrunde Durchbohrung des Ohrläppchens. Auf dem Kopf trug er eine nicht mehr näher bestimmbare Krone.
Als Amarna-Zeit bezeichnet man die Regierungszeit von Amenophis IV. / Echnaton (1351-1334 v. Chr.), die vor allem in religiöser wie auch künstlerischer Hinsicht in kurzer Zeit zu tiefgreifenden Umwälzungen geführt hatte. Die von Echnaton propagierte neue, praktisch monotheistische Religion, in der das Sonnenlicht als alleinige, alles erschaffende und am Leben haltende Kraft wirkt (dargestellt in Gestalt einer Sonnenscheibe mit Strahlen und Händen), hatte weitreichende Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens. Religionsgeschichtlich könnte man Echnaton als den ersten historisch fassbaren Stifter einer monotheistischen Religion betrachten. Auch in Kunst und Architektur führte dies zu einer Abweichung von den bisherigen Traditionen, am deutlichsten sichtbar in der Darstellung des Königs und seiner Familie in Rundplastik und Relief. Diese bewusst von den üblichen Proportionen des Körpers abweichende, übersteigerte, fast wie eine Karikatur wirkende Darstellung ist intendiert, ihre Bedeutung kann bisher aber noch nicht zufriedenstellend erklärt werden.
Die Interpretationsmöglichkeiten reichen von einer neuen künstlerischen Ausdrucksform der Göttlichkeit und Frömmigkeit des Königs bis zum Versuch, den auf den König von Aton übertragenen Fruchtbarkeits- und Schöpferaspekt bildlich wiederzugeben. Eine derart überzeichnete Darstellung menschlicher Physiognomie ist sehr wahrscheinlich kein lebenswirkliches Porträt des Herrschers, sondern Zeugnis des von Echnaton herbeigeführten Wandels.
Text: Mag.a Irene Kaplan, Mag. Markus Stumpf; Foto: Sandra Pummer