Glasmodell von Caryophyllia Smithii var. clara, Gosse, 1860
"Ovale Nelkenkoralle"
Modell von Leopold und Rudolf Blaschka, 1884
Glas (bemalt), Tierleim
Maße: ca. 10,5 x 9,5 x 7 cm
Inv.-Nr.: GM 37
Aus der Zoologischen Sammlung
Dieses Glasmodell von Caryophyllia smitthii wurde 1884 von Leopold Blaschka (1822–1895) und seinem Sohn Rudolf (1857–1939) für das "Zoologisch-vergleichend-anatomische Institut" der Universität Wien hergestellt. Im sogenannten "Ward-Katalog" aus dem Jahr 1878, einem Verkaufskatalog für Objekte aus der Manufaktur der Blaschkas, finden sich unter den Nummern 122 und 123 zwei verschiedene Unterarten (Varietäten). Das lässt einerseits die nicht ganz eindeutige Zuordnung des Taxons, andererseits auch die morphologische Diversität erahnen. Rezente Untersuchungen (Quigley, 2017) liefern hier einen genaueren taxonomischen Status und überführen die ursprüngliche Klassifikation (Gosse, 1860) in ein aus mehreren Ökotypen bestehendes Taxon, dessen Genus bereits im frühen 19. Jahrhundert durch Lamarck (de Lamarck, 1801) beschrieben worden war. Der derzeit gültige Name wird als Caryophyllia (Caryophyllia) smithii (Stokes & Broderip, 1828) geführt (Cairns, Hoeksma, & van der Land, 2001). Diese Seenelke gehört zur Familie der Steinkorallen und kommt vor allem in Südwest-Europa und im mediterranen Raum vor, breitet sich aber immer weiter aus (Quigley, 2017).
Schier unvorstellbar scheint, welche Mannigfaltigkeit und handwerkliche Komplexität die Arbeiten der Blaschkas widerspiegeln. Zum Vergleich mit unserer Seenelke bietet sich ein sehr ähnliches Exemplar an der Cornell University, New York an. Weltweit geht man von ursprünglich 179 Sammlungen aus, davon bestehen noch 68 (Ruggiero & Larson, 2017). Mit großem Erstaunen kann man verfolgen, dass immer wieder neue, bislang unbekannte Sammlungen auftauchen.
Das heikle Objekt wird, wie früher, wieder regelmäßig als Demonstrationsobjekt in der Lehre verwendet, wodurch der ursprüngliche Lehrzweck wieder auflebt (Dyer, 2008). Der Charakter dieser Objekte hat sich aber über die Jahre gewandelt, von reinen Lehrobjekten hin zu Kunst- und Forschungsobjekten.
In letzter Zeit wurden immer wieder Versuche unternommen, die teilweise sehr experimentelle Arbeitsweise der Blaschkas nachzuvollziehen bzw. zu rekonstruieren. Jüngst kamen, etwa um die Zusammensetzung der Glaskomponenten zu beschreiben, Laser-spektrometrische Methoden zum Einsatz, mit denen erstmals Daten generiert werden konnten, die einen linearen Herstellungsprozess nachweisen: viele Einzelteile wurden in der Werkstatt Blaschka quasi in Serie vorbereitet und erst bei Bedarf in einem weiteren Schritt zusammengefügt (Bertini & Miller, 2016). Für Aufsehen sorgten auch Untersuchungen mit Micro-Computer Tomographie, welche ebenfalls neue Erkenntnisse zutage förderten: man konnte erstmals in das Innere der Objekte blicken, was die konservatorische Arbeit immens erleichterte (Verveniotou, Sykes, & Walker, 2013).
Bereits vielfach beschrieben wurde die Nähe der Glasmodelle zu Kunstobjekten, denn in den Modellen findet sich neben der akkuraten Abbildung der Natur aufgrund eines elaborierten handwerklichen Geschicks (Ulrich & Gaskell, 2015) auch die inhärente künstlerische Artikulation und ästhetische Kompetenz der Objekte (Daston, 2004). Wen wundert es dann, wenn sich renommierte Künstler wie Guido Mocafico , dem wir das hier präsentierte Bild verdanken, solch faszinierenden Glasmodellen zuwenden?
Neben den etwa 110 Modellen von Meerestieren, welche in der Zoologischen Sammlung der Universität Wien aufbewahrt werden und den 45 Objekten, die seit 2016 als Leihgaben im Naturhistorischen Museum Wien ausgestellt sind, treten fünf ausgewählte und sorgsam restaurierte Stücke soeben eine Reise nach München an. Sie werden vom 17. August 2018 bis zum 13. Jänner 2019 in der Ausstellung "Lust der Täuschung. Von Antiker Kunst bis zur Virtual Reality" in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München dem Publikum präsentiert. Die Ausstellung verspricht Besucherinnen und Besuchern, ganz im Sinne der Blaschkas, die ja gerade täuschend echte Modelle anbieten wollten, dass auf die Wahrnehmung unseres Auges allein kein Verlass ist.
"Lust der Täuschung. Von Antiker Kunst bis zur Virtual Reality"
Ort: Kunsthalle München
Adresse: Theatinerstraße 8, 80333 München, Deutschland
Dauer: 17.8.2018 – 13.1.2019
Öffnungszeiten: täglich 10–20 Uhr
Presseinformation zur Ausstellung (pdf, 589 KB)
BERTINI, M., MILLER, C. G. (April 2016). Laser ablation inductively coupled plasma mass spectrometry investigation of late 19th Century Blaschka marine invertebrate glass models. In: Journal of Archaeological Science: Reports, S. 505-517. Als elektronischer Artikel in der UB Wien verfügbar. DOI: 10.1016/j.jasrep.2016.03.012
CAIRNS, S., HOEKSMA, B., Van der Land, J. (2001). Scleractinia. In: M. e. COSTELLO, European register of marine species: a check-list of the marine species in Europe and a bibliography of guides to their identification. (S. 109-110). Collection Patrimoines Naturels.
DASTON, L. (2004). Things that talk: Object lessons from art and science. New York. Exemplar im Bestand der UB Wien
LAMARCK, J. B. de (1801). Système des animaux sans vertèbres. Deterville. Als E-Book der Bibliothèque nationale de France (Gallica) verfügbar
DYER, R. (2008). Learning through glass: The Blaschka marine models in North American post secondary education. In: Historical Biology, S. 29-37. Als elektronischer Artikel in der UB Wien verfügbar. DOI: 10.1080/08912960701679495
GOSSE, P. (1860). Actinologica Britannica. A history of the British sea-anemones and corals. London: Van Voorst. Exemplar im Bestand der UB Wien
QUIGLEY, D. T. (Dezember 2017). Deep-water form of the Devonshire Cup Coral Caryophyllia smithii var. clavus Scacchi, 1835 (Anthozoa, Scleractinia, Caryophyllidae) in Irish waters, and a Review of Caryophyllia species reported from the North East Atlantic. Bulletin of the Irish Biogeographical Society, S. 3-21.
RUGGIERO, A., LARSON, K. (2017). The Blaschka Legacy in Worldwide Collections: A new Resource. In: Journal of Glass Studies, S. 419-428. Zeitschrift am Österreichischen Archäologischen Institut in Wien vorhanden
ULRICH, L. T., GASKELL, I. (2015). Tangible things: Making history through objects. Oxford University Press. Exemplar im Bestand der UB Wien
VERVENIOTOU, E., SYKES, D., WALKER, H. (August 2013). Understanding Treasures: The Application of Micro-Computed Tomography on the study of the Blaschka Models. In: Proceedings of Microscopy and Microanalysis, S. 1410-1411. Als elektronischer Artikel in der UB Wien verfügbar. DOI:http://dx.doi.org/10.1017/S1431927613009045
WARD, H. (1878). Catalogue of glass models of invertebrate animals. Rochester (NY): H.A. Wards Natural Science Establishment. Als E-Book verfügbar
Text: Maximilian Petrasko; Fotos: © Guido Mocafico, Maximilian Petrasko.