Plakat von Jules Chéret (1836-1932), Paris um 1891
Druck: Imprimerie Chaix (ateliers Chéret). 20, rue Bergère. Paris.
Chromolithografie
Maße: 85 x 127 cm
Signatur: ohne
Aus Archiv und Sammlungen des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft
Im Jahr 2016 fanden die Leiterin der Fachbereichsbibliothek für Theater-, Film- und Medienwissenschaft und die Autorin dieses Textes im Zuge der Übersiedlung der Fachbereichsbibliothek und des Archivs samt theaterhistorischer Sammlung des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft von der Hofburg an den neuen Standort in die Rotunde des UZA II zwei alte Plakate auf. Fundort war ein abgemauertes Stiegenhaus direkt in der Michaelerkuppel, das als Abstellraum des Instituts benutzt wurde. Dieser seltsame Ort hatte irgendwann den Namen "Speckkammerl" erhalten, der die Atmosphäre dieses Raumes stimmig umreißt. Entlang der repräsentativen Stiege, die ins Nichts einer zugemauerten Wand führte, standen stapelweise Schachteln, Papierstöße, ausrangiertes Mobiliar, Klopapierrollen, funktionsuntüchtige Plattenspieler in wildem Durcheinander. Die beiden großformatigen Plakate, die auf Leinwand affichiert waren, wurden erst nach dem Abtragen dieser zahllosen Materialien sichtbar. Die jahrzehntelange Vernachlässigung hatte ihre Spuren hinterlassen: Starke Verschmutzung, Wasserschäden und grobe Beschädigungen des Papiers verdunkelten die Farben und beeinträchtigten den Gesamteindruck.
Durch die Sammlungsbeauftragte der Universität Wien konnte noch im Jahr 2017 ein Papierrestaurator mit der gründlichen Reinigung und Restaurierung der beiden Objekte beauftragt werden. Die dann durchgeführte Objektrecherche ergab, dass es sich um zwei bemerkenswerte Fundstücke aus der Zeit um 1891 handelt: Klar erkennbar wies die Signatur auf den französischen Künstler Jules Chéret (1836–1932) hin. Am linken Rand findet sich zudem der Hinweis auf die Druckerei Chaix, die einen eigenen Zweigebtrieb für Chéret an der Rue Bergère 20 in Paris innehatte. Ab 1890 wiesen alle Plakate Chérets den Hinweis "Imprimerie Chaix (ateliers Chéret) 20, rue Bergère Paris" auf. Chéret war selbst ursprünglich Drucker, erwarb als Autodidakt in der künstlerischen Gestaltung seiner Lithographien höchste Anerkennungen. Seine Sujets prägten die Pariser Metropole des ausgehenden 19. Jahrhunderts und seine Plakate galten als begehrtes Sammlungsobjekt. Im Auftrag des Pariser Tapetenhändlers Pattey entwickelte Chéret seine Plakate ohne Schrift als Innendekorgegenstand. Als "Revolution der Tapeten" feierte die Presse diese Neuerung. Neben "La Danse" und "La Pantomime" gehörten "La Musique" und "La Comédie" zu vier Wandbildern in limitierter Auflage, die über Pattey zu beziehen waren. Auslöser für diese Produktion war das große Interesse zahlungskräftiger Sammler an Plakaten "avant la lettre" .
Diese beiden Plakate sind nun seit Ende November 2018 in der Lounge der Fachbereichsbibliothek Theater-, Film- und Medienwissenschaft zu besichtigen. Sie sind Teil der Ausstellung "Völlig fraglich. Vergessene Geschichte" , die als Dauerausstellung in den Bibliotheks- und Institutsräumen in der Rotunde installiert ist. Erinnert wird an die nationalsozialistische Gründungsgeschichte des Wiener theaterwissenschaftlichen Instituts, die eng mit der eingangs geschilderten Verwahrlosung von Archivgut und Sammlungsobjekten verknüpft ist. Bereits in der Phase der Übersiedlung entstand die Idee zu einer Ausstellung, die die nationalsozialistische Gründungsgeschichte zum Thema haben sollte. Gemeinsam mit Studierenden konnte das Ausstellungskonzept entwickelt und umgesetzt werden.
"Völlig fraglich" entlehnten wir als Titel einer aufgefundenen Mappe mit NS Materialien. Bisher völlig fraglich ist auch zum Großteil die Herkunft aufgefundener Artefakte, Bücher und Fotografien. Die Ausstellung beschäftigt sich mit der Visualisierung von Materialien mittels Fotografie, sowie filmischer und digitaler Techniken, um vergessene Geschichte sichtbar zu machen. Anliegen ist es, die nationalsozialistische Gründungsgeschichte und die Konsequenz dieses Wissens zu thematisieren und sichtbar zu machen. Wir fordern zu einem aktiven Umgang mit der schmerzhaften und schwierigen Geschichte auf, zu einer verantwortungsvollen Integration in das Selbstverständnis des Instituts und der Disziplin.
Anmerkung der Redaktion:
Die beiden Plakate wurden 2017/18 mit von der DLE Bibliotheks- und Archivwesen zur Verfügung gestellten Mitteln zur Bestandserhaltung und Restaurierung von Sammlungsbeständen der Universität Wien professionell restauriert.
Michael BUHRS (Hg.): Jules Chéret. Künstler der Belle Epoque und Pionier der Plakatkunst. Ausstellungskatalog Villa Stuck, München 2011. Exemplar im Bestand der UB Wien
Martina CUBA: Die Gründung eines theaterwissenschaftlichen Forschungsapparates im Nationalsozialismus. Zur Sammlungsgeschichte der Bestände am Zentralinstitut für Theaterwissenschaft der Universität Wien 1943–1945. Universität Wien: Diss. 2017. Exemplar im Bestand der UB Wien
Klaus ILLMAYER: TheaterMedienWissenschaft. Mediendiskurse in der Theaterwissenschaft. Wien. Univ: Diss. 2017. Exemplar im Bestand der UB Wien
Birgit PETER und Martina PAYR (Hg.): "Wissenschaft nach der Mode"?: Die Gründung des Zentralinstituts für Theaterwissenschaft an der Universität Wien 1943. Wien [u.a.]: Lit-Verlag 2008 (=Austria: Universitätsgeschichte, Bd. 3). Exemplare im Bestand der UB Wien und 2. Aufl.
Text und Foto: Dr. Birgit Peter; Foto vor der Restaurierung: Dieter Brasch; Restaurierung: Michael Fackelmann