Anschlag zur Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebs nach der Pest, 1507

Anschlag zur Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebs nach der Pest, 1507

Anschlag des Dekans der Artistenfakultät vom Jänner 1507 zur Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebs nach der Pest
Dokumentiert im Liber Quartus Actorum Facultatis Artium Moderna, fol. 51r
Sign.: Ph 9
Aus dem Archiv der Universität Wien


Gefördert durch schlechte hygienische Bedingungen kam es im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wien immer wieder zum Ausbruch von – als Pest bzw. Pestilentz bezeichneten – Seuchen, von denen auch die Universität betroffen war: Studenten und Magistri flohen vor der Ansteckungsgefahr in den beengten Verhältnissen der Stadt; mangels Alternativen zum Präsenzunterricht musste der Vorlesungsbetrieb ausgesetzt werden. Die freie Zeit scheint manchen Lehrenden nicht unwillkommen gewesen zu sein: Am Ende einer Handschrift aus dem Besitz des Theologieprofessors Thomas Ebendorfer von Haselbach (1388–1464) findet sich der mit 8. Oktober 1453 datierte Vermerk, dass er die Handschrift– wohl in seiner Pfarre Perchtoldsdorf – durchkorrigiert habe, als die Vorlesungen pestbedingt ausfielen (Österreichische Nationalbibliothek, cod. 3369, fol. 327v).

In den universitären Archivalien gut dokumentiert und auch in frühen Universitätsgeschichten besonders vermerkt ist jene im Studienjahr 1506/07 grassierende Seuche, die ein Opfer an der Spitze der Universität forderte: Rektor Johannes Wi(e)singer, Doktor der Medizin, starb auf dem Weg in seine Heimat Passau am 10. Dezember 1506 in Klosterneuburg, sodass eine Neuwahl während des Semesters notwendig wurde. Der Prokurator der rheinischen Nation Andreas Misbeck/Misbegius aus Mergentheim in Franken († nach 1522), nimmt dies zum Anlass, die Unsicherheit des menschlichen Lebens zu beklagen und widmet dem Verstorbenen im Geschäftsbuch der Nation ein Grabepigramm – ein seltenes Beispiel eines poetischen Eintrags, dessen (lateinische) Verse im Schriftbild hervorstechen (siehe untenstehendes Foto: Universitätsarchiv, NR 1, fol. 223 [rot]r). Auch Misbeck selbst verließ Wien, um seine Gesundheit zu schützen und sich auf Reisen weiterzubilden; als Humanist parallelisiert er sich mit Odysseus, der auf seinen Irrfahrten fremde Völker und Sitten kennenlernte und so seit der Antike zum Prototyp des Bildungsreisenden wurde.

In der Sitzung der Artistenfakultät am 21. Jänner 1507 wurde nach dem Vorbild der höheren Fakultäten die Wiederaufnahme der unterbrochenen Vorlesungen beschlossen, um nicht träge, nachlässig und – so der lateinische Ausdruck – "verschlafen" zu wirken. Eine entsprechende Kundmachung des Dekans sollte am Tor angeschlagen werden. Ihr Wortlaut ist in den Akten der Artistenfakultät verzeichnet (Universitätsarchiv, AFA 4=Ph 9, fol. 51r) und wird hier in Übersetzung wiedergegeben:

„Der Dekan der hochberühmten Artistenfakultät bringt hiermit allen Mitgliedern und jedem einzelnen Zögling der genannten Fakultät zur Kenntnis: Obwohl sich uns der Himmel aufgrund der Pest so ungnädig gezeigt hat, dass die öffentlichen Vorlesungen unterbrochen werden mussten, ist nichtsdestoweniger im Rat unserer vorgenannten Fakultät beschlossen worden, dass die Magistri unserer Fakultät, da die Pest durch göttliche Barmherzigkeit nachlässt und fast aufhört, die Vorlesungen mit höchster Gewissenhaftigkeit fortsetzen sollen. Daher laden wir die Hörer ein, sich den besten Wissenschaften wohlwollend, gelehrig, aufmerksam und diszipliniert zu widmen. Und zwar werden die Vorlesungen Dienstag, 26. Jänner, mit größtmöglicher Sorgfalt beginnen und in Folge akkurat zum Abschluss gebracht werden. Gegeben zu Wien…“ (Marginalie: „nach dem Ende der Pest beginnt der Unterricht“)

Möge der Anschlag des Jahres 1507 515 Jahre später ein gutes Vorzeichen für das Sommersemester 2022 sein!

Literatur:

ASCHBACH, Joseph Ritter von: Geschichte der Wiener Universität. Bd. 2: Die Wiener Universität und ihre Humanisten im Zeitalter Kaiser Maximilians I., Wien 1877. Digitalisat in PHAIDRA
DENK, Ulrike: Die Universität in Zeiten der Pandemie. Wie man Seuchen und „Pestilentz“ in vergangenen Jahrhunderten begegnete. 15. Jhdt. – 20. Jhdt. In: 650 plus – Geschichte der Universität Wien
LOCHER, Johann Joseph: Speculum academicum Viennense, Wien 1773. Digitalisat in PHAIDRA
MAISEL, Thomas / BRACHER, Andreas / MATSCHINEGG, Ingrid: „Wiener Artistenregister“ 1497 bis 1555. Digitalisate in PHAIDRA
SEIDL, Johannes (Hg.): Thomas Ebendorfer von Haselbach (1388–1464). Gelehrter, Diplomat, Pfarrer von Perchtoldsdorf. Ausstellung anlässlich der 600. Wiederkehr des Geburtstages von Thomas Ebendorfer in der Burg zu Perchtoldsdorf, 18. September–16. Oktober 1988, Perchtoldsdorf 1988. Exemplar im Bestand des Archivs der Universität Wien
UIBLEIN, Paul: Die Universität Wien im Mittelalter. Beiträge und Forschungen, Wien 1999 (= Schriftenreihe des Universitätsarchivs 11). Exemplare im Bestand der Universitätsbibliothek Wien
Protocollum Inclytae Nationis Rhenanae, 1415-1582 (Geschäftsbuch der Rheinischen Nation an der Universität Wien), Sign.: NR 1 Eintrag im Archivinformationssystem SCOPE

Anschlag zur Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebs nach der Pest, 1507

Text: Ao Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Elisabeth Klecker, Fotos: (c) Universität Wien