Portrait Richard Wettstein von Westersheim

Portrait Richard Wettstein von Westersheim

Portrait des Botanik-Professors Richard Wettstein von Westersheim (1863–1931), Wien 1931
Ludwig Wieden (1869–1947)
Öl auf Leinwand, Holzrahmen
Maße: 92 x 116 cm
Aus der Historischen Sammlung des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung


„Für den Porträtmaler bedeutet jede neue Arbeit ein starkes Erlebnis, denn es ist ja eine Begegnung mit einer anderen Menschenseele. Dies künstlerisch zu gestalten und gleichzeitig dem innersten Wesen des andern doch voll gerecht zu werden, darin liegt wohl die Aufgabe des Porträts und seine große Schwierigkeit. Nun gibt es Menschen, deren Innerlichkeit von solcher Kraft und Intensität ist, daß sie sich in jedem Zuge des Gesichtes sowie in jeder Geste nach außen projiziert, so daß in diesem Falle Form und Inhalt zu einer harmonischen Einheit werden. Zu diesen seltenen Menschen gehörte Professor Wettstein. Es war ein langgehegter Wunsch von mir gewesen, sein Bildnis zu malen, und im Frühjahr 1931 sollte er in Erfüllung gehen – wenige Monate vor seinem allzufrühen Tode“ schrieb der Maler Ludwig Wieden (1869–1947) im September-Heft 1931 der Zeitschrift „Österreichische Kunst“ in seiner Erinnerung an den Botaniker Richard Wettstein von Westersheim, der am 10. August des Jahres auf seinem Sommersitz in Trins (Gschnitztal, Tirol) verstorben war.

Ludwig Wieden war am 10. November 1869 im mährischen Blumenbach (Květná) als Sohn des Buchhalters Eduard Wieden und Sophia Wieden, geb. Pelikan, zur Welt gekommen und übersiedelte 1885 nach Wien, wo er 1894 bis 1897 die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt besuchte und in Folge 1897 bis 1899 an der Akademie der bildenden Künste studierte. Nach Auslandsaufenthalten in München und Ungarn kehrte er 1905 nach Wien zurück und wurde 1908 Mitglied der Secession, deren Ausstellungen er seit November 1906 regelmäßig beschickte. 1910 heiratete er die Künstlerin Grete Wieden-Veit (1879–1959). Im ersten Weltkrieg als Kriegsmaler tätig, entwickelte sich Wieden später in erster Linie zu einem herausragenden Portraitmaler, der ein selten großes Maß von Verständnis für menschliche Wesenseigenheiten und ihre künstlerische Darstellung zeigte. Von einem zeitgenössischen Kunstkritiker als „Seelenmaler“ bezeichnet, schuf Wieden unter anderem Portraits von Bundespräsident Michael Hainisch (1858–1940), ferner der Wiener Bürgermeister Karl Seitz (1869–1950) und Jakob Reumann (1853–1925), des Sektionschefs Wilhelm Exner (1840–1931), der Universitätsprofessoren Oswald Redlich (1858–1944) und Eugen Oberhummer (1859–1944), des Dichters Hermann Bahr (1863–1934), des Schauspielers Alexander Girardi (1850–1918), des Physikers Max Planck (1858–1947) sowie von Theodor Kardinal Innitzer (1875–1955). Das hier präsentierte Portrait von Richard Wettstein wurde 1931 begonnen – es war im Mai des Jahres auf der Frühjahrsausstellung der Secession in Saal V ausgestellt und befand sich später in Privatbesitz der Familie Wettstein. Ludwig Wieden starb am 20. August 1947 in Gmunden (Oberösterreich).

Der portraitierte Richard Wettstein von Westersheim war am 30. Juni 1863 als Sohn des Beamten Karl Wettstein von Westersheim (1834–1903) und seiner Gattin Rosa Katharina, geb. Hirsch (1837–1871), in Rodaun bei Wien geboren worden, wo die Eltern sich auf Sommerfrische aufhielten, und wurde am 5. Juli in der Wiener Dominikanerkirche als Richard Sigismund Mathias getauft. Nach Studien der Naturwissenschaften und Medizin an der Universität Wien promovierte er hier am 17. Dezember 1884 zum Dr. phil. und erhielt im März 1885 eine Assistentenstelle am Botanischen Garten und Botanischen Museum der Universität Wien unter seinem späteren Schwiegervater Anton Kerner von Marilaun (1831–1898). Der Habilitation zum Privatdozenten für systematische Botanik im Jahr 1886 folgte schnell die Ernennung zum Adjunkten bei Kerner und 1892 die Berufung zum ordentlichen Professor der systematischen Botanik an die deutsche Universität Prag. Am 1. Mai 1889 heiratete Wettstein in der Karlskirche Adelheid Elisabeth Johanna Kerner Edle von Marilaun (1863–1938) und folgte 1899 seinem Schwiegervater im Amt als ordentlicher Professor der systematischen Botanik an der Universität Wien nach. Mit mehreren hundert facheinschlägigen Publikationen, als Mitbegründer des "Wiener Volksbildungsvereins" und als Herausgeber der "Österreichischen botanischen Zeitschrift" war Richard von Wettstein einer der produktivsten Botaniker seiner Zeit und brachte wohl wirklich „Form und Inhalt“ seines Lebens „zu einer harmonischen Einheit“. 1901 unternahm er eine Expedition nach Südbrasilien, die reichhaltiges neues Sammlungs-, Forschungs- und Bildmaterial erbrachte, und noch von August 1929 bis Februar 1930 unternahm er zusammen mit seinem Sohn Friedrich (1895–1945) eine Forschungsreise nach Afrika.

Im Hintergrund von Wiedens Portrait sind einige Sammlungsobjekte aus dem Bestand des Botanischen Museums zu sehen, ansonsten wird auf die Darstellung gelehrter Attribute verzichtet; Wettsteins Hände liegen ruhig im Schoß und halten nicht etwa ein Buch oder eine Lupe. Wenige Monate später erlag Richard Wettstein am 10. August 1931 seiner Peritonealkarzinose in Trins, sein Leichnam wurde am 13. August nach Wien überführt und bis zur Beerdigung am 15. August in der Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus am Wiener Zentralfriedhof aufgebahrt. Am 30. Juni 1932, dem gedachten 69. Geburtstag Wettsteins, wurde sein Ehrengrab am Zentralfriedhof feierlich eingeweiht.

Das gezeigte Portrait wurde im Mai 2022 von den Nachfahren Richard Wettsteins dem Botanischen Garten der Universität Wien geschenkt, von dort gelangte es als weitere Schenkung in den Bestand der Historischen Sammlung des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung. Das Bild bildet nun das insgesamt dritte Portrait von Richard Wettstein im Besitz der Universität Wien. Ein im Auftrag des Unterrichtsministeriums 1927 von Karl Sterrer (1885–1972) gemaltes Portrait wird als Teil der Rektorengalerie im Universitätsarchiv aufbewahrt; ein weiteres großes Ölbild – es zeigt Wettstein mit einem aufgeschlagenen Buch in der Hand – von unbekannter Hand befand sich im Besitz des Instituts für Botanik und wird aktuell ebenfalls in der Historischen Sammlung verwahrt.

Mit herzlichem Dank an Heidi Wettstein, Kimberly von Wettstein und ao. Univ. Prof. Dr. Michael Kiehn für die Schenkung des Portraits, sowie an MMag. Dr. Martin Georg Enne für Hilfestellungen bei der Literaturbeschaffung.

Literatur:

JANCHEN, Erwin (1933): Richard Wettstein. Sein Leben und Wirken. (= Österreichische botanische Zeitschrift 82 (1/2), S. 1–195).
NATTER, Günter (1988): Die Gemälde der Universität Wien. Eine historische Dokumentation. Wien.
SVOJTKA, Matthias (2020): Wettstein von Westersheim, Richard Ritter (1863–1931), Botaniker. In: Österreichisches biographisches Lexikon, 71. Lieferung, S. 162–163, Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften. Online verfügbar
THIEME, Ulrich / BECKER, Felix (1942): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler. Von der Antike bis zur Gegenwart. Bd. 35: Waage–Wilhelmson. Leipzig: Seemann.
WIEDEN, Ludwig (1931): Erinnerung an Richard Wettstein. In: Österreichische Kunst 1931 (8).


Text und Foto: Mag. Matthias Svojtka