Camillo Nossian (1910–1982)
Bleistift und Wasserfarbe auf Papier
Maße: 158 x 109 cm
Aus dem Bestand der Wandtafelsammlung des Departments für Evolutionsbiologie
Die hier vorgestellte handgemalte Wandtafel behandelt die Biologie der Bärtierchen und zeigt, dass jenen bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts großes Forschungsinteresse galt. Bärtierchen (Tardigrada) sind achtbeinige, knapp einen Millimeter große Tiere, die in marinen, limnischen und terrestrischen Lebensräumen vorkommen und sich großteils pflanzlich ernähren. Sie zeichnen sich vor allem durch eine besondere Eigenschaft aus: ihre ausgeprägte Widerstandsfähigkeit. Durch sogenannte Anhydrobiose können sie ungünstigen Bedingungen trotzen, indem sie durch Austrocknung Dauerstadien bilden, aus denen sie nach Wasserzufuhr auch wieder aufwachen können. Doch nicht nur Trockenheit überstehen diese anpassungsfähigen Lebewesen, sondern auch starke Strahlung, hohe Temperaturen, extreme chemische Situationen und sogar Vakuum, wie es im Orbit der Erde vorkommt. Aufgrund dieser Eigenschaften fungieren sie auch als Modellorganismen in der Astrobiologie. Ihre vielfältigen Eigenschaften und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Bedingungen im Weltraum führen immer wieder zu Diskussionen über die Entstehung von Leben im Weltall.
Die hier präsentierte Wandtafel wurde 1955 von dem am damaligen Zoologischen Institut der Universität Wien angestellten Zeichner Camillo Nossian (1910–1982) für die Lehre angefertigt und zeigt Abbildungen, die aus zwei unterschiedlichen Werken übernommen wurden. Zum einen die Abbildung eines Eies von Macrobiotus hufelandi, das zu den größten bisher gefundenen Bärtierchen gehört und meist in Moosen lebt. Besonders charakteristisch für die Eier von Macrobiotus hufelandi sind die eierbecherförmigen Strukturen auf der Eioberfläche, die von kleinen “Perlkreisen” umgeben sind. Die Abbildung stammt aus einem Kapitel über Tardigrada aus der Reihe „Handbuch der Zoologie: Eine Naturgeschichte der Stämme des Tierreiches“. Gegründet und herausgegeben wurde diese Reihe seit 1925 von Wilhelm Georg Kükenthal (1861–1922), einem deutschen Zoologen und Hochschullehrer, sowie weiterführend herausgegeben von Thilo Krumbach (1874–1949), einem Berliner Zoologen. Das Kapitel erschien in der ersten Lieferung des dritten Bandes 1926 und wurde vom deutschen Zoologen Ferdinand Richters (1849–1914) –dessen Forschungsschwerpunkt Tardigrada waren– verfasst.
Die weiteren Abbildungen dieser Wandtafel entstammen einem Werk des deutschen Zoologen Ernst Marcus (1893–1968) „Spinnentiere oder Arachnoidea IV: Bärtierchen (Tardigrada)“. Der Band erschien 1928 als zwölfter Teil innerhalb der Reihe „Die Tierwelt Deutschlands und der angrenzenden Meeresteile nach ihren Merkmalen und nach ihrer Lebensweise“, welche zwischen 1925 und 1968 vom deutschen Zoologen Friedrich Dahl (1856–1929) herausgegeben wurde. Es ist die erste Bärtierchenmonographie von Ernst Marcus, der in weiterer Folge mit deren Beforschung und Beschreibung neue Maßstäbe setzte. Zwei der Abbildungen zeigen ein weibliches Exemplar von Macrobiotus hufelandi, einmal von dorsal und einmal von lateral. Die Dorsalansicht beinhaltet die inneren Organe (verschiedene Drüsen, Gehirnlappen, das Ovar mit Eiern, Verdauungsorgane (Tardigrada haben keine Zirkulations- und Respirationsorgane, denn Atmung findet bei ihnen über Diffusion durch die Haut statt) und die skulpturierte Cuticula; die Muskulatur wurde nicht eingezeichnet. Die laterale Ansicht stellt eine schematische Darstellung der Organisation der Art dar, wobei die linke Hälfte der Körperwand, das Nervensystem und die linke Munddrüse nicht eingezeichnet sind. In dieser Ansicht gut zu sehen sind erneut die inneren Organe wie in der Dorsalansicht, doch auch ein Auge sowie das Unterschlund- und die Bauchganglien sind in dieser Ansicht gut zu erkennen. Auf dieser Wandtafel sind noch zwei weitere Tardigrada-Arten dargestellt: Bei einer Abbildung handelt es sich um ein Habitusbild von Echiniscoides sigismundi, einer marinen Tardigraden-Art, das auf einem Enteromorpha-Faden (Grünalge) sitzt. Die andere Abbildung zeigt die dorsale äußere Erscheinung von Pseudechiniscus sp., eine Tardigraden-Art, die zur damaligen Zeit von Ernst Marcus allein auf den Kanaren und in Teneriffa nachgewiesen war, heutzutage aber weltweit nachgewiesen ist.
Diese Wandtafel, die zwar auf den publizierten Abbildungen und Originalzeichnungen von Richters und Marcus basiert, stammt von Camilo Nossian, der von 1946 bis 1970 am damaligen Zoologischen Institut der Universität Wien angestellt war. Auf ihn gehen abgesehen von dieser Wandtafel noch über 190 weitere handgemalte Wandtafeln und zahlreiche Buchillustrationen zurück. Nossian wurde 1910 geboren, besuchte die Bundeslehranstalt für Maschinenbau in Wien und erhielt im Zuge seiner Rekrutierung für den Wehrdienst eine Ausbildung zum Radiotelegraphist. Anschließend diente er im II. Weltkrieg bis zu seiner Gefangennahme 1945 durch die Amerikaner in der deutschen Luftwaffe als Funker und Zeichner. Auf Wunsch des damaligen Vorstandes des Zoologischen Instituts der Universität Wien Otto Storch (1886–1951) wurde Nossian nach seiner Freilassung als technischer Zeichner am Institut eingestellt, da der Großteil der Unterrichtstafeln dem Krieg zu Opfer gefallen waren und folglich im Zuge des Wiederaufbaus ein dringender Bedarf an neuen Lehrmitteln herrschte. Für die neue Stelle belegte Nossian einige Kurse an der Akademie der bildenden Künste Wien in den Fächern Zeichnen und Malen. Ab 1955 erhielt Nossian eine Definitivstellung als „Technischer Offizial“ der Universität Wien. Zehn Jahre später folgte 1965 ein Aufstieg zum „Technischen Oberkontrollor“ und 1970 schlussendlich die Beförderung zum Fachinspektor am Zweiten Zoologischen Institut.
Diese Wandtafel ist besonders repräsentativ für Nossians Kunstfertigkeit und ein großartiges Beispiel für die Sammlung Zoologischer Wandtafeln der Universität Wien. Sie zeigt in farbenfroher Manier Habitus und Anatomie von Tardigrada Macrobiotus hufelandi. Die Abbildungen sind mit Bleistift auf Papier gezeichnet und mit Wasserfarbe koloriert bzw. beschriftet. Die unterschiedlichen Abbildungen und Repräsentationsweisen, welche aus den damals bedeutendsten Fachbüchern zum Thema Tardigrada entnommen wurden, machen diese Tafel zu einem damals wichtigen Lehrmittel zu diesem Thema.
Die Autorinnen dieses Artikels haben diese und weitere handgezeichnete Wandtafeln der Institutsgrafiker Camillo Nossian und Karl Haslauer (1922–1997) im Rahmen ihres Abschlussprojekts für den Universitätslehrgang Library and Information Studies digital erschlossen. Damit wurde ein wichtiger Schritt in Richtung Sichtbarmachung und Nachnutzbarkeit dieses kostbaren Bestandes gesetzt.
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Text: Elisabeth Svitil BSc MSc, Carolin Viehweider BA & Viktoria Wechselberger BSc | Projektbetreuung: Mag.a Claudia Feigl & Mag. Simon Engelberger | Foto: Mag. Simon Engelberger