Fotograf*in unbekannt
Maße: 8,9 x 6,5 cm
Inv.-Nr.: SAHGD30/06
Aus der Sammlung des Instituts für Europäische Ethnologie
Dieses Glasplatten-Dia ist Teil eines Bestands an Glasplattennegativen „Haberlandt“ aus der Sammlung des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Die Sammlung besteht aus rund 500 historischen Schwarz-Weiß-Glasplattennegativen und stammt aus dem ehemaligen Besitz der Familie Haberlandt. Arthur Haberlandt (1889–1964) stand zwischen 1924 und 1945 als Direktor dem Österreichischen Museum für Volkskunde in Wien vor. Die Negative gelangten wahrscheinlich als Schenkung durch dessen Tochter – der Volkskundlerin Gertrud Heß-Haberlandt (1923–2016) – an das Institut für Europäische Ethnologie. Offen bleibt die Frage, wie die Sammlung in den Besitz der Familie Haberlandt gekommen ist.
Die Aufarbeitung dieses und weiterer 345 Dias fand im Rahmen des Universitätslehrgangs “Library and Information Studies” statt. Ziel war die Inventarisierung und Erstellung eines digitalen Verzeichnisses. Das Konzept für eine langfristige Lagerung des Bestandes umfasste die Umbettung in säurefreien Archivboxen und hochwertige Fotohüllen aus säurefreiem Pergamin sowie die Digitalisierung der Sammlung. Aufgrund des unbearbeiteten und unsortierten Zustands verliefen die Recherchen zu Provenienz und Urheberschaft der Objekte sehr langwierig und komplex. Die Bildinhalte auf den Glasplattennegativen konnten jedoch im Zuge der umfassenden Kontextualisierung der Negative der “Sammlung Wohlgemuth” des Stadtmuseums Bozen zugeordnet werden. Zu welchem Zweck die Bilder aufgenommen wurden, konnte aufgrund der unzureichenden Quellenlage nicht restlos geklärt werden.
Karl Wohlgemuth (1867–1933) wurde 1867 in Bozen geboren und war bereits in jungen Jahren begeisterter Sammler. Während etlicher Reisen besuchte er nicht nur ferne Länder, sondern erforschte auch seine Heimat Südtirol. Insbesondere das Eisack- und das Pustertal waren für Karl Wohlgemuth von größtem Interesse. In den Jahren 1905–1906 wurde die volkskundliche Sammlung Wohlgemuths im Stadtmuseum Bozen ausgestellt. Zwischen 1909–1933 erwarb der Museumsverein Bozen über 4.000 Gegenstände von Karl Wohlgemuth. Besonders wertvoll ist dabei das von ihm angelegte Register, das neben jedem Eintrag eine Abbildung des erworbenen Objekts, dessen Herkunftsort, eine Beschreibung sowie dessen Verwendungszweck beinhaltet. Karl Wohlgemuth gilt als „Pionier im Bereich Sammeltätigkeit“ und verkaufte auch regelmäßig Objekte an Michael Haberlandt (1860–1940), dem Vater von Arthur Haberlandt sowie Mitbegründer und langjähriger Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde (heute: Volkskundemuseum) in Wien. Er starb am 14. August 1933 in Riva am Gardasee.
Das ausgewählte Negativ mit der Signatur SAHGD30/06 zeigt vier Masken, die an einer Wand aufgehängt und rautenförmig arrangiert sind. Bei diesen Masken handelt es sich um zwei Teufelsmasken (links und rechts) aus dem Pragser Tal, eine “Tiroler Michl” Maske (oben) aus dem Inntal sowie eine Luzifermaske (unten) aus Sarnthein (Sarentino, Südtirol). Sie sind Teil der “Sammlung Wohlgemuth” aus dem Stadtmuseum Bozen. Im Bestand des Stadtmuseums Bozen befinden sich insgesamt 25 Masken für das sogenannte "Nikolausspiel". Sie stammen aus dem Pragser Tal sowie aus dem Pustertal und dem Ahrntal sowie aus Osttirol. Zu den beiden Masken aus dem Pragser Tal, die auf dem Negativ zu sehen sind, gehören noch drei weitere Masken und ein Umhang. Die beiden auf dem Glasdia abgebildeten Teufelsmasken stammen aus dem 19. Jahrhundert. Eine der Masken (links, Wohlmuth-Register, CM 6847) wurde aus einem Milcheimer geschnitzt und schwarz bemalt. Der Mund wurde rot umrandet und mit elf schiefen Zähnen versehen. Die Augen sind nach unten geneigt und mandelförmig. Überdies wurden sie mit roter und gelber Farbe umrandet. Die Mitte des Gesichts ziert eine große Hakennase. Auf dem Kopf befindet sich ein Paar schwarz bemalte Hörner, die sich nach außen drehen. Die zweite Maske (rechts, Wohlmuth-Register, CM 6954) weist ebenfalls rot und gelb umrandete Augen sowie einen rot bemalten Mund auf, jedoch mit sieben schiefen Zähnen. Überdies ist die Stirn in Falten gelegt und auf dem Kopf befinden sich zwei Ziegenhörner. Das Kinn ist spitz und die Nase prominent mit großen Warzen versehen.
Nikolausspiele tauchen in Tirol das erste Mal im 17. Jahrhundert auf. Initiiert wurden diese von der katholischen Kirche, um der Bevölkerung ihre moralischen Pflichten in der adventlichen Bußzeit aufzuzeigen. Anhand von Texten aus dem 18. Jahrhundert lässt sich ein Bild vom Nikolausspiel gewinnen: Das Spiel wurde in einer bäuerlichen Stube und mit armen Leuten als Darsteller aufgeführt. Besonderes Augenmerk lag auf der Dichotomie zwischen Gut und Böse. In manchen Gegenden Tirols, wie in Nordtirol, Prags und dem Ahrntal, werden auch heute noch Nikolausspiele abgehalten. Dabei handelt es sich jedoch um abgewandelte und deutlich kürzere Aufführungen.
Die Maske des „Tiroler Michls” (oben, Wohlgemuth-Register, CM 6820) stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde in Brixlegg (Bezirk Kufstein, Tirol) gefunden. Sie wurde ebenfalls aus Holz geschnitzt und bemalt. Im Gegensatz zu den beiden Teufelsmasken wurde bei der Herstellung zusätzlich Stoff, Leder und Haar verwendet. Die Maske zeigt eine männliche Person mit prominenten Augenbrauen, einem roten Mund und weißen Zähnen. Auf seinem Kopf befindet sich eine Mütze aus gelbem und braunem Stoff, die mit einem Lederriemen befestigt wurde. Diese Maske wurde für das noch heute abgehaltene „Mullerlaufen” – von Karl Wohlgemuth fälschlicherweise als „Huttlerspiel” bezeichnet – verwendet. Dabei handelt es sich jedoch weniger um ein Spiel als um einen festlichen Umzug während der Faschingszeit. Bei diesem Fastnachtsbrauch laufen als sogenannte „Huttler”, Hexen und andere Gestalten verkleidete Personen durch das Dorf, dringen in Häuser ein und veranstalten einen großen Lärm. Hinter diesem Schauspiel steckt ein Bittritual, welches in vielen Teilen Europas in ähnlichen Formen vertreten ist. Die Dorfgemeinde bittet um eine reiche Ernte und Fruchtbarkeit.
Die Luzifermaske (unten, Wohlgemuth-Register, CM 6711) stammt womöglich aus dem 18. Jahrhundert, aus Sarntheim (Sarentino, Südtirol) und wurde für das Passionsspiel benutzt. Es handelt sich ebenso um eine geschnitzte und bemalte Holzmaske. Das Gesicht besteht aus prominenten Augenbrauen, rot und weiß ummalte Augen sowie einer langen Nase, die in einem Schnabel endet. Die Oberlippe ist der Schnauze eines Löwen nachempfunden. Aus dem Mund ragt ein rotes Stoffstück, das die Zunge darstellen soll. Seitlich am Kopf befindet sich ein Paar spitze, lange Ohren. Abgerundet wird die Maske noch durch zwei schwarz bemalte Hörner. Eine Besonderheit ist die Verwendung von kleinen Glassplittern, wodurch die Maske glänzt. Ebenso erwähnenswert ist die Anmerkung Wohlgemuths, wonach genau diese Luzifermaske (im Gegensatz zu den restlichen Passionspiel-Masken) einem Vorbild aus der Renaissance nachempfunden ist. Das Passionsspiel stellt den Leidensweg Christus von seinem Einzug in Jerusalem bis zu seiner Auferstehung nach. Die Aufführung der Spiele fand üblicherweise in Pfarrkirchen statt. Im Laufe der Zeit wurden weitere Szenen und Ereignisse hinzugefügt, sodass die Spiele ins Freie verlegt wurden. Besonders die Ergänzung eines Kampfes zwischen Gut und Böse war bei der Bevölkerung äußerst beliebt. 1809 fand in Sarntheim das letzte Passionsspiel statt, da weitere Aufführungen von den französischen Besatzern verboten wurden.
Der im Rahmen des Projekts erschlossene Teil-Bestand an Glasplatten-Dias umfasst 346 Glasplattennegative der Größe 8,9 cm x 6,5 cm. Die Glasplatten wurden in kleinen Stülpschachteln (10 cm x 7,2 cm, zumeist mit Werbung der Fotohersteller versehen) gelagert, die ihrerseits zum Teil doppelt durchnummeriert sind: einmal handschriftlich und einmal mittels eines Etiketts. 17 Schachteln fehlen und konnten auch nicht wieder aufgefunden werden. Die Beschriftung auf den Schachteln lautet fast durchgehend “Tiroler Volkskunde”. In erster Linie zeigen die Negative materielle Kultur aus dem Raum Tirol und Südtirol. Zu sehen sind Alltagsgegenstände in Form von Sensen, Messern, Geschirr, Kannen, aber auch Masken und religiöse Artefakte. Auf der Vorderseite findet sich zudem der Stempel mit der Aufschrift „Helmut Gasteiner Ing.Arch” und ein Wappen. Ein zentraler Punkt des Projekts war die umfassende inhaltliche, zeitliche und regionale Kontextualisierung der Negative. Es konnte aufgrund der fehlenden Quellenlage nicht geklärt werden, wie die Sammlung in den Besitz der Familie Haberlandt gelangte, und andererseits auch nicht, wofür die Glasplattennegative angefertigt wurden. Einige Thesen zu den Entstehungsbedingungen sowie weitere Informationen zu den beteiligten Aktuere sind in der Abschlußarbeit des ULG-Projekts nachzulesen.
KRAMPUS. Masken und Postkarten. Ausstellungskatalog Stadtmuseum und Stadtgalerie Bozen. 24. November 2012–24. Februar 2013. Hrsg. von Stefan Demetz und Silvia Spada Pintarelli. Bozen 2012. Online verfügbar
PFUNDNER, Christopher / KAVKA, Sarah-Marie / VAVERA, Jasmin: Erschließung der Glasplattennegative „Haberlandt“ aus der Sammlung des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Wien 2023. Online verfügbar
SCHMIDT, Leopold: Arthur Haberlandt zum Gedächtnis. Nachruf und Bibliographie. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde ÖZV 18/67 (1964), S. 217–271. Online verfügbar
WOHLGEMUTH, Karl: Selbstbiographie. In: Bozner Jahrbuch für Geschichte, Kultur und Kunst 5. 1931/1934. Hrsg. von Karl Mayr. Bolzano 1934, S. 173–208. Online verfügbar
Text: Christopher Pfundner, Sarah-Marie Kavka, Jasmin Vavera | Projektbetreuung: Mag.a Claudia Feigl, MAS und Mag.a Susanne Wicha | Digitalisierung: Fotostudio Leutner | Unteres Foto: Registerband aus dem © Stadtmuseum Bozen