Dispensarium für die Wiener Apotheker

Dispensarium für die Wiener Apotheker

Dispensarium (Arzneibuch) für die Wiener Apotheker, 1570–1822
Papierhandschrift
240 Seiten
Maße: 22,2 x 31,7 cm
Signatur: MED 06
Aus dem Archiv der Universität Wien


Apotheken waren und sind ein wesentlicher Teil des Gesundheitswesens. Die pharmazeutische Ausbildung war bis ins 19. Jahrhundert eine Handwerksausbildung. Allerdings standen die Apotheker wie andere nichtuniversitäre Heilberufe seit dem 15. Jahrhundert unter Aufsicht der Medizinischen Fakultät: So war beispielsweise die Ausübung des Apothekerberufs an die Zulassung durch die Fakultät gebunden.

In der von Ferdinand I. (1503–1564) im Jahr 1564 erlassenen Apothekerordnung für Wien wurde unter anderem die Erstellung eines Arzneibuches gefordert. Dieser Aufgabe kam die Medizinische Fakultät der Universität Wien 1570 nach: Am 8. Juli wurde ein Gremium von drei Doktoren mit der Revision eines Arzneikatalogs beauftragt. Dieser Katalog beruhte auf den Aufzeichnungen des Mediziners Ladislaus Stuff (1530–1570), der von 1565 bis 1567 Visitator der Wiener Apotheken war. Zwischen ihm und der Medizinischen Fakultät kam es in Folge zu einem heftigen Streit um das Dispensarium. Nach dem Tod Stuffs beauftragte die Fakultät Johannes Rucardus (Lebensdaten unbekannt), Bakkalar der Medizin, mit der Anfertigung von zwei Exemplaren des Dispensariums. Die Materialkosten betrugen rund 3 Gulden. Rucardus erhielt als Schreiberlohn seine Bakkalarsbestätigung gratis ausgestellt.

Eine der Handschriften sollte Kaiser Maximilian II. (1527–1576) oder der Niederösterreichischen Regierung zur Bestätigung überreicht werden. Die Akten vermerken weder, ob es tatsächlich dazu gekommen ist, noch aus welchen Gründen die Bestätigung nicht erfolgte. Wien übernahm im 17. Jahrhundert das Arzneibuch der Stadt Augsburg (Pharmacopoea Augustana, 1613), das um einen von der Medizinischen Fakultät erstellten Katalog erweitert wurde.

Das gezeigte Dispensatorium enthält eine kurze Geschichte des Apothekerwesens und der Apothekerausbildung in Wien, alphabetische Listen der zugelassenen Arzneistoffe und der Mischungen sowie die Rezepte der Mischungen selbst. Viele der Rezepte sind heute natürlich nicht mehr aktuell, manches wird aber wiederentdeckt wie beispielsweise Oxymel, eine Mischung aus Honig und Essig. Als eines der wichtigsten Heilmittel seit der Antike galt Theriak, eine auf Honigbasis bestehende Kräutermischung angereichert mit Wein oder anderen alkoholischen Getränken, zumeist auch mit Opium versehen. Die Rezepturen mit bis zu über 60 Ingredienzien wechselten; im Arzneibuch finden sich ebenfalls mehrere Varianten. Die Bezeichnung "Theriak" wurde erstmals um 170 v. Chr. von dem griechischen Arzt Nikandros von Kolophon (um 197 v. Chr.–um 133 v. Chr.) verwendet. Theriak war das Allheilmittel schlechthin. Im Mittelalter wurde es gegen die Pest verabreicht, bei Durstgefühl oder zum Schwitzen bei fieberhaften Erkrankungen, aber auch um die Lebensenergie von Föten zu stärken. Heute findet die Substanz noch teilweise Anwendung in der Volkmedizin, wenngleich ohne Opium. Zur Behandlung von Pestbeulen wurden Zugpflaster mit verschiedenen Kräutermischungen und Theriak versehen, aufgelegt, mitunter die Pestbeulen (Bubonen) davor mit einer Lanzette oder Nadel aufgestochen.

Obwohl das Arzneibuch nie offiziell approbiert wurde, wurde es an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien bis ins Jahr 1822 verwendet, wie eine am Beginn eingeklebte Liste von Apothekern belegt: Sie führt jene Kandidaten an, die zwischen 1817 und 1822 von der Medizinischen Fakultät geprüft wurden.

Ausstellungshinweis:

Anlässlich des Geburtstags von Paul de Sorbait (1624–1691) vor 400 Jahren hat die Universität Wien gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine Ausstellung gestaltet, die den Titel "Medikus und Professor, Soldat und Leibarzt. Der Wiener Pestexperte Paul de Sorbait (1624–1691)" trägt und im Foyer der Universitätsbibliothek Wien gezeigt wird. Die Ausstellung gibt Einblick in die Welt des 17. Jahrhunderts und eine ihrer größten Herausforderungen: die Eindämmung der Pest.

Paul de Sorbait hatte in seiner Rolle als sogenannter "Pestinquisitor" während der großen Pest des Jahres 1679 in Wien weitreichenden Einfluss auf die Maßnahmen gegen die Ausbreitung dieser Pandemie. Seine teilweise auch ungehörten Mahnrufe und der weitere Pandemieverlauf werden ebenso aufgegriffen wie die Einstellung der Menschen zu Leben und Tod in Pestzeiten. Sind die Maßnahmen von 1679 mit jenen der 2020er vergleichbar? In Bild und Text beleuchtet die Ausstellung Sorbaits biografischen Werdegang, seine Bedeutung für die Universität Wien als Medizinprofessor, Dekan und Rektor, aber auch die familiären Bande in seiner Wahlheimat Wien sowie seine Netzwerke zum Kaiserhof, der Stadt Wien und der Gelehrtenwelt seiner Zeit.

Eröffnung: 20. Juni 2024, 18:15 Uhr
Eröffnungsprogramm: 17:00–17:30 Uhr: Gedenkfeier im Stephansdom mit Besichtigung des Epitaphs von Paul de Sorbait | 18:15–19:15 Uhr: Kuratorinnenführung von Ulrike Denk und Nina Knieling im Foyer der Hauptbibliothek der UB Wien
Ausstellungsdauer: 20. Juli bis 14. September 2024
Öffnungszeiten: Mo–Fr: 9:00–24:00 Uhr; Sa: 9:00–18:00 Uhr


    Am Dienstag, den 9. Juli 2024 findet von 16:00–17:00 Uhr eine Kuratorinnenführung statt.
    Treffpunkt ist im Foyer der Universitätsbibliothek, um Anmeldung wird gebeten: Anmeldelink


Literatur:

Acta Facultatis Medicae Universitatis Vindobonensis. Bd. IV: 1558-1604. Hrsg. von Leopold Senfelder. Wien 1908. S. 86ff., 212, 218f. Exemplare im Bestand der UB Wien
Dispensatorium pro Pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom oesterreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Bearb. von Priv.-Doz. Dr. O. Zekert. Berlin 1938. Exemplare im Bestand der UB Wien
G. Keil: Theriak. In: W. E. Gerabek/B. D. Haage/G. Keil/W. Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin/New York 2005. S. 1393f. Exemplar im Bestand der UB Wien
F. Czeike/H. Czeike/S. Nikolay/S. C. Pils (Hrsg.): Geschichte der Wiener Apotheken. Stadtgeschichte im Spiegel eines Berufsstandes (= Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 49). Innsbruck/Wien/Bozen 2008. S. 98. Exemplare im Bestand der UB Wien
V. Hach-Wunderle/W. Hach: De cura Therapeutica der Ärzte und Chirurgen bei der großen Pest in Wien anno 1679. In: Gefässchirurgie 20 (2015), S. 389–394. Online verfügbar
Henning, Josef: Verstarb vor 450 Jahren: Ladislaus Stuff – siebenbürgischer Arzt und Rektor der Universität Wien. In: Siebenbürgische Zeitung vom 11.05.2020. Online verfügbar

Dispensarium für die Wiener Apotheker

Text: Prof.in Mag.a Dr.in Daniela Angetter-Pfeiffer und Dr.in Ulrike Denk, MAS | Scans: Archiv der Universität Wien