Lycium sokotranum Wagner & Vierh.
Status: Syntypus
Sammler: Dr. Stefan Paulay (1839–1913)
Akqu.-Nr.: 2907
Herbar.-Nr.: WU 0165748
Aus dem Herbarium der Universität Wien
Einen kleinen, aber bedeutenden Bestand des Herbariums der Universität Wien bilden jene botanischen Herbarbelege, die im Rahmen der Südarabien-Expedition der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien im Zeitraum von Dezember 1898 bis Mitte März 1899 in Jemen und auf der Insel Sokotra gesammelt wurden. Diese interdisziplinäre Expedition, an der der Orientalist Carlo Landberg (1848–1924), der Semitist David Heinrich Müller (1848–1924) (Universität Wien), der Arabist Alfred Jahn (geb. 1875) (Universität Wien), der Geologe Franz Kossmat (1871–1938) (k.k. Geologischen Reichsanstalt Wien), der Mathematiker Oscar Simony (1852–1915) (Hochschule für Bodenkultur Wien) und der Schiffsarzt Stefan Paulay (1839–1913) teilnahmen, konnte zwar aufgrund widriger politischer Umstände vor Ort und interner Unstimmigkeiten nur einen Teil der vorgesehenen Expeditionsziele erreichen, war aber für die sprachwissenschaftliche sowie botanische Erforschung der jeminitischen Küstengebiete Südarabiens und vor allem der Insel Sokotra besonders bedeutend. So umfasste allein die botanische Ausbeute der Expedition 48 Kisten an botanischen Objekten (Lebendpflanzen, Herbarbelege, Weingeistpräparate), die in bestem Erhaltungszustand in Wien eintrafen.
Die Insel Sokotra (3.579 km²) ist durch ihre geographische Isolation im Indischen Ozean (Golf von Aden) zwischen der Arabischen Halbinsel und dem Horn von Afrika botanisch in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Die Insel hat ein tropisches Wüsten- bzw. Halbwüstenklima und beherbergt ca. 800 Pflanzenarten. Bedingt durch die isolierte Insellage sind von diesen Pflanzenarten mehr als ein Drittel auf der Insel endemisch, das heißt sie kommen nur auf Sokotra vor. Sokotra wird deshalb auch das „Galapagos des Indischen Ozeans“ genannt; die Zahl endemischer Pflanzenarten pro Quadratkilometer ist hinter den Seychellen, Neukaledonien und Hawaii weltweit die viertgrößte auf einer Inselgruppe.
Die botanischen Aufsammlungen der Expedition wurden von Oscar Simony und Stefan Paulay getätigt; die Herbarbelege sind im Herbarium der Universität Wien hinterlegt. Von den insgesamt 221 im Rahmen der Expedition aufgesammelten Pflanzenarten wurden 39 als neu für die Wissenschaft beschrieben, der Großteil davon von der Insel Sokotra. Durch diese Belege ist das Herbarium der Universität Wien eine international bedeutende Ressource für die Erforschung der Flora der Insel Sokotra, deren Digitalisierung deshalb besonders vordringlich ist.
Der vorgestellte Beleg von Lycium sokotranum ist ein Typusbeleg einer solchen neu beschriebenen Art, der im Rahmen des Projektes „Kulturerbe Digital“ als solcher ausgewiesen und digitalisiert wurde. Neben dem eigentlichen Herbarbeleg sind auf dem Beleg auch die Reproduktion der Abbildung der Blüten beigefügt, die aus der Publikation der botanischen Ergebnisse der Expedition durch den Wiener Botaniker Friedrich Vierhapper stammt.
Die Gattung Lycium gehört zu den Nachtschattengewächsen (Solanaceae), zu denen bekannte Vertreter wie die wichtigen Nutzpflanzen Kartoffel, Tomate, Paprika und Aubergine, aber auch Giftpflanzen mit halluzinogenen Alkaloiden wie Alraune, Tollkirsche, Bilsenkraut und Stechapfel gehören, deren psychoaktive Wirkung schon lange vom Menschen genutzt wird. Die Früchte (Beeren) der Gattung Lycium sind klein aber essbar und werden vor allem in China als Gojibeeren in der chinesischen Küche bzw. in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) verwendet. Lycium sokotranum ist auf Sokotra verbreitet und häufig; eine Verwendung bzw. Nutzung von Lycium sokotranum ist allerdings nicht bekannt.
Im Rahmen des Projekts „Kulturerbe digital“ an der Universität Wien werden aktuell ausgewählte Belege von besonderer wissenschaftlicher und kultureller Relevanz aus dem Herbarium der Universität Wien digitalisiert. Ziel des vom Bundesministerium für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport, BMWKMS (vormals Bundesministerium für Kunst, Kultur, Öffentlichen Dienst und Sport, BMKÖS) finanzierten Projektes ist es, die Dateneinträge und Fotos dieser Belege in der Herbardatenbank JACQ, im Kulturpool Austria und im Portal EUROPEANA weltweit öffentlich zur Verfügung zu stellen.
FEICHTINGER, Johannes / CORRADINI, Doris A. / GEIGER, Katja: 7. Die kaiserliche Akademie um die Jahrhundertwende. Die Entwicklung zur Forschungsakademie in drei Phasen. In: FEICHTINGER, Johannes / MAZOHL, Brigitte (Hrsg.): Die Österreichische Akademie der Wissenschaften 1847–2022. Eine neue Akademiegeschichte. Band I, Wien 2022, S. 311–409. Online verfügbar
KLEMUN, Marianne / MATTES, Johannes: 5. Expeditionen und Forschungsreisen (1847–1918). Die kaiserliche Akademie als Förderer und Veranstalter. In: FEICHTINGER, Johannes / MAZOHL, Brigitte (Hrsg.): Die Österreichische Akademie der Wissenschaften 1847–2022. Eine neue Akademiegeschichte. Band I, Wien 2022, S. 197–273. Online verfügbar
VIERHAPPER, Friedrich: Beiträge zur Kenntnis der Flora Südarabiens und der Inseln Sokótra, Sémḥa, und ʻAbd el Kûri. Bearbeitung der von Dr. St. Paulay und Professor Dr. O. Simony auf der Expedition der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften nach Südarabien und den Inseln Sokótra, Sémḥa, und ʻAbd el Kûri vom December 1898 bis Mitte März 1899 gesammelten Gefässpflanzen. Wien 1907 (= Denkschriften der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Band 71, Teil 1), S. 119–120. Online verfügbar
Text: Priv.-Doz. Mag. Dr. Hermann Voglmayr | Foto oben: Herbarium des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung | Foto unten: Morten Ross