Koloriertes Glasdia eines Fichten-Steinpilzes

Koloriertes Glasdia eines Fichten-Steinpilzes

Handkoloriertes Glasdiapositiv Boletus edulis (Fichten-Steinpilz)
Josef Hanel (1865–1840), Berlin um 1916
Retuschiertes und handkoloriertes Glasdiapositiv, Abdeckglas, Papierrahmen
Maße: 8,5 x 8,5 cm
Aus der Dia- und Fotosammlung des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung


„Der Künstler, der uns mit den Blumen aus dem mykologischen Zaubergarten auf der Projektionsfläche so innig erfreute, der Schöpfer unserer prächtigen Lichtbilder, ist leider nicht mehr. Dieser unwiederbringliche Verlust erfordert ein Wort respektvollen Gedenkens. Mit unnachahmlichem technischem Können und einem äußerst feinen Gespür für die Farbenpracht der Pilze stellte er sie virtuos dar und nutzte dabei auch die Licht- und Schattenspiele der umgebenden Welt auf wunderbare Weise. Sein fotografisches und künstlerisches Werk, eine Wiedergabe der Schönheit der Natur, ist eine bleibende Quelle der Freude und Emotion.“

Diese würdigenden Worte von A. C. S. Schweers (aus dem Niederländischen übersetzt) bildeten zusammen mit einer kurzen Todesnotiz der "Deutschen Gesellschaft für Pilzkunde" (heute: Deutsche Gesellschaft für Mykologie), wonach der „Kunstmaler Josef Hanel“ am 12. November 1940 verstorben und in seiner Heimat Hennersdorf beigesetzt worden sei, die einzigen biographischen Hinweise, die uns bis in neuerer Zeit über diesen bemerkenswerten Fotokünstler vorlagen. Erst nach 2015, als im Bestand des Botanischen Museums der Universität Zürich insgesamt 208 Glasdiapositive in fünf Holzkästen aufgefunden und durch Christiane Jacquat historisch aufgearbeitet wurden, änderte sich die Situation fundamental: Mittlerweile liegen bereits zwei Monographien über Josef Hanel vor, die wunderbare Einblicke in sein botanisch-künstlerisches Schaffen gewähren.

Josef Hanel kam am 29. März 1865 im mährischen Hennersdorf (heute: Jindřichov ve Slezsku, Tschechien) als ehelicher Sohn des Schuhmachers Anton Hanel (geb. Hennersdorf/Jindřichov, 26.02.1835) und der Johanna Hanel, geb. Wurst (geb. Kleinwallstein/Malý Valštejn, 14.10.1839) zur Welt (siehe Eintrag im Taufbuch); die Eltern hatten am 2. Februar 1863 in Kleinwallstein geheiratet. Im Alter von 25 Jahren heiratete Josef Hanel (siehe Eintrag im Trauungsbuch), mittlerweile im sechsten Wiener Gemeindebezirk (Magdalenenstraße 65) ansässig, Anna Maria Westermaier (geb. Weichs, Oberbayern, 05.09.1867); die Eheleute zogen später nach Furth bei Göttweig (NÖ). Von dort übersiedelten sie im März 1915 nach München, wo sich Josef Hanel 1917 als Maler und Fotograf - spezialisiert auf die „Herstellung farbiger Lichtbilder zu Lehrzwecken“ - selbständig machte. Im September 1917 zog er zunächst nach Solln (seit 1938 ein Stadtteil von München), im Oktober 1918 dann nach Bad Aibling (Landkreis Rosenheim, Bayern) um. Im Jahr 1923 kehrte das Ehepaar Hanel schließlich in Josefs Geburtsort Jindřichov zurück und bewohnte dort das Haus von Josefs jüngerem Bruder Eduard Hanel (geb. Hennersdorf/Jindřichov, 26.10.1875). Eduard hatte in Hennersdorf bis 1918 eine Werkstatt für die Kolorierung von Postkarten betrieben, seither arbeitete er als selbständiger Fotograf. Ende der 1930er-Jahre kaufte das Ehepaar Hanel in Wiesegräflich (heute: Łąka Prudnicka, Polen) ein eigenes Haus (Nr. 11) mit Grundstück. Josef Hanel starb am 12. November 1940 im Hospiz der Barmherzigen Brüder in Neustadt O.S. (heute: Prudnik, Polen) an fortgeschrittener Tuberkulose. Maria Hanel gehörte 1945 zu den „Vertriebenen“ – Deutschland musste ja alle annektierten Gebiete räumen und die Ländereien östlich der Oder an Polen abtreten. Sie gelangte im Dezember 1945 nach München und starb friedlich in einem Altenheim in Tegernbach (Oberbayern); ihre Ehe mit Josef Hanel war kinderlos geblieben.

Ab etwa 1915 arbeitete Josef Hanel an der Herstellung farbiger Glasdiapositive. Diese hatten im Gegensatz zu Farbfilmen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einigermaßen erschwinglich waren, den Vorteil, bei einer Projektion auf Großbildleinwand ein gestochen scharfes Bild zu ergeben. Auch 1939 wurde die Verwendung von handkolorierten Diapositiven didaktisch noch ausdrücklich empfohlen, obwohl schon vielfach seit den 1930er-Jahren auf die billigeren kleinformatigen Agfacolor-Filme zurückgegriffen wurde. Hanel begann seine Produktion mit Pilzbildern, die er in der Natur aufnahm, wobei er das Motiv behutsam arrangierte, sodass es möglichst alle bestimmungsrelevanten Details der Pilze im natürlichen Lebensraum zeigte. Später erweiterte er sein Repertoire um Flechten, Moose und Blütenpflanzen, sowie um Landschaftsbilder von Wald, Heide und Wiese. In den 1930er-Jahren produzierte er neben den Pilzbildern hauptsächlich Studio-Aufnahmen von Samenpflanzen und Gefäßsporenpflanzen vor einheitlichem Hintergrund, von Schadbildern an Pflanzen verursacht durch Pilze und tierische Schädlinge, sowie von nützlichen und schädlichen Insekten. Nach dem Mykologen Franz Kallenbach (1893–1944) gehörten die Bilder von Hanel „zum besten, was auf diesem Gebiet vorhanden ist“. Sie konnten zunächst direkt bei Hanel in Bad Aibling bzw. Hennersdorf, später über die Firma Wachenfeld & Schwarzschild in Kassel bezogen werden und kosteten im Jahre 1921 6 Mark (1925 1,80 Reichsmark, 1928 2,50 Reichsmark) pro Stück.

Hanel gab auch selbst Verkaufskataloge heraus; so erschien beispielsweise 1930 ein „Namensverzeichnis der farbigen Lichtbilder. Kryptogamen. Pilze, Flechten und Moose. Wald und Heidebilder“ in Hennersdorf und um 1931 das Verzeichnis „Farbige Lichtbilder in vorzüglicher Ausführung nach eigenen Original-Naturaufnahmen z. T. nach Anweisung bedeutender Fachleute hergestellt. Pflanzen, Pflanzenkrankheiten, Insekten, Pilze, Flechten und Moose“ in Wiesegräflich. Pilzbilder von Josef Hanel erschienen auch gedruckt in zahlreichen Publikationen von Fachwissenschaftlern, so beispielsweise in mehrfacher Auflage im „Merkblatt für Giftpilze“, in den „Pilzpostkarten“, in „Die essbaren Pilze und ihre Bedeutung für unsere Volkswirtschaft und als Nahrungsmittel“ und „Unsere Giftpilze und ihre essbaren Doppelgänger“ sowie in „Unsere Speisepilze“ von Johannes (Hans) Schnegg (1875–1950). Das Buch „Gift- und Speisepilze und ihre Verwechselungen“ (1921, 2. Aufl. 1933) von Ludwig Klein (1857–1928) enthält farbige Illustrationen nach Bildern, die Hanel in Öl und Aquarell auf der Basis von Naturaufnahmen gemalt hatte.

Bei der Herstellung einer Pilzaufnahme belichtete Hanel zunächst in der Natur eine monochrome Negativ-Glasplatte und entwickelte diese anschließend bei Rotlicht in der Dunkelkammer. Vom fertigen und getrockneten Negativ wurde dann per Kontaktabzug auf eine neue fotobeschichtete Glasplatte das Diapositiv für die spätere Handkolorierung erstellt. Von einer fertigen Negativplatte konnten so beliebig viele Positive in brillanter Auflösung hergestellt werden. Bei der Handkolorierung am Retuschierpult trug Hanel unter einer starken Lupe mit feinen Marderhaar-Pinseln verdünnte Eiweiß-Lasurfarben auf, die sofort (und irreversibel) von der Gelatine-Emulsion der Fotoplatte aufgesogen wurden. Zum Abschluss wurde die Fotoschicht mit einem Schutzglas überdeckt und die Rahmung mit schwarzem Papierklebeband vorgenommen.

Im Sammlungsbestand der Universität Wien befinden sich 46 handkolorierte Glasdiapositive mit Pilzmotiven von Josef Hanel im Format 8,5 mal 8,5 cm. Die Beschriftung mit vorgedruckten Etiketten „Jos. Hanel, München“ sowie die Formulierung „Botanisches Institut der k. k. Universität Wien“ am Inventar-Etikett grenzen sowohl die Herstellungszeit, als auch den Ankauf der Bilder auf die Zeit zwischen 1915 bis 1918 ein. In diesem Zeitraum wurden laut Akquisitionsbuch der Bildersammlung insgesamt 157 nicht näher bezeichnete Glasdiapositive aus verschiedenen Quellen erworben, unter denen sich wohl auch Hanels Pilzbilder befanden. Allen Bildern fehlt das später für Hanel typische Monogramm „I.H.“. Zahlreiche Motive - so auch der hier gezeigte Fichten-Steinpilz - weichen von den späteren, weiter verbreiteten Darstellungen ab. Es dürfte sich somit bei diesem Sammlungsbestand um die ältesten derzeit bekannten Pilzbilder von Josef Hanel handeln. Weitere Bestände von Hanel-Glasdiapositiven finden sich an der ETH Zürich, im Ottoneum (Kassel), am Geobotanischen Institut der Martin-Luther-Universität in Halle sowie in Privatbesitz in der Schweiz.

Ein zusätzlich aufgeklebtes Etikett trägt die handschriftliche Bestimmung des abgebildeten Pilzes durch Viktor Schiffner (1862–1944). Schiffner wurde in Wien, von der Deutschen Universität in Prag kommend, 1902 zum außerordentlichen Professor für Systematische Botanik ernannt. Mit "Allerhöchster Entschließung vom 6. August 1904" erhielt er Titel und Charakter eines ordentlichen Universitäts-Professors. Die im Laufe des 1. Weltkrieges immer drückender werdende Lebensmittelknappheit rückte auch die Pilze wieder zunehmend in das öffentliche Interesse, giftige Arten mussten von essbaren Arten verlässlich unterschieden werden. Dabei kam farbigen Abbildungen auf Tafeln und Dias eine besondere didaktische Bedeutung zu. Schiffner gab zusammen mit der Gartenbaugesellschaft farbige Pilztafeln in einer Auflagenhöhe von 60.000 Stück heraus, hielt volkstümliche Pilzkurse ab und gründete 1919 zusammen mit Heinrich Lohwag (1884–1945) und Thomas Cernohorsky (1882–1956) die „Gesellschaft der Pilzfreunde in Wien“, aus der 1929 die „Österreichische Mykologische Gesellschaft“ hervorging. Auch heute noch findet einmal wöchentlich die „Pilzberatung“ am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung statt, bei der man eigene Funde begutachten lassen kann.

Literatur:

DÖRFELT, Heinrich: Handkolorierte Pilz-Diapositive - ein Meilenstein in der Pilzaufklärung des 20. Jahrhunderts. In: Der Tintling 11/1 (2006), S. 48–59.

HONEGGER, Rosmarie: Vom Zauber einer verborgenen Schatzkammer. 2. Aufl. (Webversion), Zürich (Botanisches Museum der Universität Zürich) 2018. Online verfügbar

JACQUAT, Christiane: Die Pflanzenbilder des „I.H.“. Eine rätselhafte Sammlung handkolorierter Glasdiapositive. Aarau/München: AT-Verlag 2019. Exemplar im Bestand der UB Wien

JACQUAT, Christiane: Fundamentals. Die Pflanzenwelt des “I.H.“. Aktualität einer Sammlung handkolorierter Glasdiapositive. Aarau/München: AT-Verlag 2024. Exemplare im Bestand der UB Wien

KALLENBACH, Franz: Pilzlichtbilder. Zeitschrift für Pilzkunde 7 (1928), S. 128. Online verfügbar

PLSEK, Karl / KLOFAC, Wolfgang / KRISAI-GREILHUBER, Irmgard / FRIEBES, Gernot: 100 Jahre Österreichische Mykologische Gesellschaft. In: Österreichische Zeitschrift für Pilzkunde 31 (2023). S. 81–87. Online verfügbar

RAAB, Hans: Fünfzig Jahre Österreichische Mykologische Gesellschaft in Wien. In: Sydowia 22 (1969). S. 323–332. Online verfügbar

SCHWEERS, A. C. S.: Josef Hanel †.- Fungus 13/2 (1942), S. 28 Online verfügbar

Text und Foto: Mag. Matthias Svojtka. Mit herzlichem Dank an a.o. Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Irmgard Greilhuber und Dr. Karl Plsek für Hilfestellungen bei der Literaturbeschaffung.