Wachsmodell eines Lanzettfischchens

Wachsmodell eines Lanzettfischchens

Hergestellt am II. Zoologischen Institut der Universität Wien, um 1900
Modell aus Bienenwachs und Schweinsblase; Ständer aus Holz und Metall
Maße: 65 x 6 x 9 cm
Aus der Zoologischen Sammlung


Das Bild zeigt ein Modell in Lateralansicht mit verschiedenen Durchschnittsebenen durch den Körper des Lanzettfischens Branchiostoma (Amphioxus) lanceolatum. Der Bildausschnitt links unten zeigt eine Frontalansicht. Das Material stellt eine gefärbte Bienenwachsmischung unbekannter Zusammensetzung dar, der Flossensaum am Hinterende besteht aus getrockneter Schweinsblase.
Das Lanzettfischchen wird systematisch in die Gruppe der Schädellosen (Acrania) eingereiht, die in enger stammesgeschichtlicher Beziehung zu den Wirbeltieren stehen. Die Acrania sind ein kleines, artenarmes Taxon gemäßigter bis warmer Meere, wo sie im Bodengrund als Filtrierer leben. Der Körperbau dieses Tieres und seine embryonale Entwicklung waren es, die aufgrund zahlreicher Ähnlichkeiten mit den Wirbeltieren lange den Fokus auf diese Tiergruppe gelenkt haben. Deshalb steht der Modellorganismus Amphioxus Pate für die vergleichende Embryologie als Grundlage der Evolutionsbiologie des 19. Jahrhunderts und auch für die Forschungen des Zoologen Berthold Hatschek (1854–1941).

Hatschek wurde 1896 auf ausdrückliche Empfehlung Ernst Haeckels (1834–1919) als Nachfolger von Carl Claus (1835–1899) auf die I. Lehrkanzel für Zoologie nach Wien berufen. Zuvor war er an der Universität Wien als Privatdozent tätig, wobei er sich wissenschaftlich mit der Entwicklung mariner Organismen auseinandersetzte. In diese Zeit datiert eine der wichtigsten Arbeiten Hatscheks: Studien über Entwicklung des Amphioxus (Arb. Zool. Inst. Wien Zool. Stat. Triest 4, 1882, 1–88), die bis heute die Grundlage der deskriptiven Frühentwicklung dieser Tiergruppe darstellt. 1886 übernahm er eine Professur an der deutschen Universität in Prag, die er bis zu seiner Rückberufung inne hatte.

Das Wachsmodell entstand im Lichte dieser "Amphioxusforschung", die in den Jahren nach 1900 vor allem durch Hatscheks Assistenten Heinrich Joseph (1875–1941) am II. Zoologischen Institut vertreten wurde. Seinen Zweck erfüllte es insbesondere in der Lehre, da es die Ausführung gestattet, die verschiedenen Ebenen des Körperbaus und den Zusammenhang der einzelnen Organsysteme plastisch nachzuvollziehen. Zweifelsohne war eine der Motivationen, ein derart komplexes und detailgetreues Unikat herzustellen, die Überbrückung der didaktischen Lücke zwischen vorhandenen embryologischen Unterrichtsmodellen von Vater und Sohn Adolf (1820–1889) und Fritz (1860–1936) Ziegler und dem ausgewachsenen, geschlechtsreifen Tier.

Text: Daniel Siderits, Fotos: Edith Hütter und Bianca Mellan