Astronomische Sammelhandschrift

Astronomische Sammelhandschrift

Illustration zur Geographia des Claudius Ptolomäus mit geografischer Positionierung der bei Ptolomäus genannten Gebirgszüge
Wien und Klosterneuburg, 1434/1437
Pergament und Papier
Maße: 411 x 290 mm
Codex 5266 (fol. 92r) aus der Österreichischen Nationalbibliothek 


In den Jahren zwischen 1420 und 1440 war die Universität Wien zu einem bedeutenden Zentrum der Naturwissenschaften herangewachsen. Der Besuch der alma universitate studii Vienni galt als nennenswerte Auszeichnung. Zu den prägenden Gestalten zählten Johann von Gmunden (ca. 1384–1442) und Georg Müstinger (gest. 1442). Gmunden schloss sein theologisches Studium an der Wiener Universität niemals ab; er verlegte sich vielmehr ganz auf den Unterricht in Mathematik und Astronomie. Seine Schriften erlangten weite Verbreitung. Das lag an einer besonderen Klarheit der Darstellung, die ein autodidaktisches Studium und den Nachbau von Instrumenten für naturwissenschaftliche Messungen ermöglichte. Beeindruckendes Zeugnis seines Engagements liefert auch sein Testament: Er vermachte der artistischen Fakultät der Universität Wien einen Teil seiner Lehrbücher und astronomischen Instrumente. Georg Müstinger hingegen absolvierte ein Baccalaureat an der Theologischen Fakultät und übernahm dann das Amt des Propstes im Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg. Die Babenberger Gründung lag unweit von Wien und war schon lange ein Ort des wissenschaftlichen Dialogs. Müstinger widmete sich dort dem Aufbau einer naturwissenschaftlichen Spezialbibliothek mit astronomischen Handschriften. Zum Ankauf schickte er seine Mönche sogar nach Italien. Diese fachliche Fokussierung dokumentiert eine Wende in der Wissenschaftsgeschichte; eine zunehmende Professionalisierung bricht sich Bahn. Damit einher geht auch ein verändertes Verhältnis von Schreiber und Wissenschaftler: Nicht immer, aber oftmals sind sie nun in einer Person vereint.

Müstinger hat den Bänden seiner Sammlung Inhaltsverzeichnisse voran gestellt. Als Nr. 1 lässt sich ein Band identifizieren, der heute in der Österreichischen Nationalbibliothek unter der Signatur Cod. 5266 aufbewahrt wird. In dem voluminösen Folianten (I + 286 Blätter) sind 18 astrologisch-astronomische Beiträge auf unterschiedlichem Trägermaterial - Pergament und Papier - zusammengebunden. Laut Vermerken lassen sich die spätesten unter ihnen in die Jahre 1434 und 1437 datieren. Niedergeschrieben wurden sie in Wien und in Klosterneuburg. Unter diesen finden sich auch drei lateinische Übersetzungen von Texten des Claudius Ptolemäus (um 100 bis nach 160): Geographiae libri VIII a Iacobo Angelo translati, Epitome Almagesti und Theorica planetarum.

Ptolemäus war es bekanntlich gelungen, die Geographie durch Anwendung trigonometrischer und astronomischer Messungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Das in der Antike gepflegte Wissen um eine naturwissenschaftlich exakte Kartierung der Erdoberfläche war in Europa später weitgehend verloren gegangen. Erst 1410 konnte eine lateinische Übersetzung der über Konstantinopel nach Italien gebrachten, griechisch verfassten Schriften abgeschlossen werden. Gemeinsam mit Johann von Gmunden unternahm Propst Müstinger neue Längen- und Breitengradbestimmungen. Vermutlich stehen sie in Zusammenhang mit einer großen Karte. Mit dem Bemühen, ihre Messungen zu kartieren, waren Gmunden und Müstinger ihren Zeitgenossen weit voraus, denn das Wissen um das Aussehen der Erde hatte sich noch keineswegs zu einem Bild zusammengeschlossen und erst 1492 entstand in der Werkstatt Martin Behaims (1459–1507) der erste Erdglobus. Es spricht für sich, dass die beiden Gelehrten auf die gerade wiederentdeckte antike Autorität des Claudius Ptolomäus zurückgriffen.

Auf Folio 91 recto illustriert der Schreiber eine Anleitung des Ptolemäus aus dem ersten Buch seiner Geografie, die gekrümmte Oberfläche der Erde auf eine Karte zu übertragen. Auf Folio 92 recto überträgt er dieses Prinzip auf eine Erddarstellung, die das gesamte Querformat einnimmt. Die Darstellung zeigt allerdings noch keine Kugelform, sondern die Oberfläche einer elliptischen Gestalt, die nach oben und unten beschnitten ist. Ziffern bezeichnen das Koordinatensystem aus Längen- und Breitengraden. Der Äquator "m" ist zu erkennen. Mit bloßen Strichen sind Ausdehnung von verschiedenen Gebirgszügen im oberen rechten Sektor eingezeichnet. Sie tragen noch die ptolomäischen Benennungen.

Dass der Cod. 5266 häufig konsultiert wurde, zeigen unter anderem verschiedene Randnotizen - darunter möglicherweise auch Autografen des Regiomontanus (1436–1476) - und eine überraschende Provenienz-Geschichte: Als ein Text aus Cod. 5266 von einem Kollegiaten der Wiener Bürgerschule kopiert wurde, gelangte die Sammelhandschrift zusammen mit der Teilabschrift aus der Stiftsbibliothek Klosterneubung in den Besitz des Astronomen Philipp Eduard Fugger (1546–1618). Der Einband des Kodex trägt daher seine Initialen. Über ihn fand er 1655/56 seinen Weg in die Wiener Hofbibliothek zurück.

Ausstellungshinweis:

Die Sammelhandschrift ist zurzeit in der Jubiläums-Ausstellung 
"Wien 1365. Eine Universität entsteht" zu sehen:

Ort: Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek
Adresse: Josefsplatz 1, 1010 Wien
Öffnungszeiten: Di–So 10.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr
Dauer der Ausstellung: 06.03.2015–03.05.2015

Ausstellungsfolder (pdf, 386 KB)
Wissenschaftliches Begleitprogramm (pdf, 81 KB)

Zur Ausstellung erscheint ein Begleitkatalog:
1365 - Eine Universität entsteht 

Text: Mag.a Heidrun Rosenberg, Fotos: © Österreichische Nationalbibliothek