Erdglobus von Dietrich Reimer (1818–1899) nach Carl Adami (1802–1894)
Bearbeitet und gezeichnet von Heinrich Kiepert (1818–1899), Berlin 1867
Mit Bemalungen von Leopold Kober (1883–1970), Wien um 1930
Durchmesser des Globus: 80 cm
Gesamthöhe: 120 cm
Aus dem Geologischen Archiv
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich die Erdwissenschaft vermehrt mit globalen Fragen, wie jene nach der Permanenz der Ozeane und der Kontinente. Auch die Ursachen der Entstehung von Kettengebirgen und die Ortsgebundenheit ihres Auftretens wurden ab dieser Zeit und in den folgenden Jahrzehnten intensiv diskutiert und Theorien zur Erklärung dieser Phänomene postuliert. Der Wiener Geologe Leopold Kober (1883–1970) sah Kontinente und Ozeane von denselben Gesetzen beherrscht: Für ihn vollzog sich das "Verknöchern" der Erde in wiederholten orogenen Zyklen, die Gebirgsbildung (Orogenese) sah er als eine Folge der gravitativen Kontraktion der Erde. In Anlehnung an die von dem berühmten Wiener Geologen Eduard Suess (1831–1914) vertretene Vorstellung einer kontinuierlichen Verringerung des Erdradius infolge fortschreitender gravitativer Verdichtung ("Kontraktionstheorie"), vermutete auch Leopold Kober, dass die für die Bildung von Gebirgen erforderlichen Tangentialkräfte in erster Linie durch eine Reduktion der Erdumfanges aufgebaut würden.
Trotz des frühzeitigen Aufkommens konkurrierender Ideen (Wegener: Kontinentaldrift , Ampferer , Schwinner ) konnte sich diese Vorstellung bis in die frühen 1960er-Jahre als mögliche Denkvariante im wissenschaftlichen Diskurs halten. Erst dann hat das aus der Weiterentwicklung der Wegener'schen Kontinentaldrifttheorie entwickelte Konzept der Plattentektonik jene längst überholten Vorstellungen, die sich auf die Kontraktionstheorie bezogen, endgültig abgelöst. Leopold Kober, der ab 1909 als Assistent von Viktor Uhlig (1857–1911) am Geologischen Institut der Universität Wien tätig war, 1921 zum außerordentlichen Professor ernannt und 1937 zum ordentlichen Professor für Geologie berufen wurde, beschäftigte sich seit dem Beginn der Zwischenkriegszeit mit globalen geotektonischen Fragestellungen. Wohl in dieser Zeit übermalte er das zu diesem Zeitpunkt bereits historische Kartenbild aus dem Jahr 1867, mit Linien und Flächen, die die morphotektonische Gliederung der Erdoberfläche illustrieren.
Der historische Prunkglobus war mit großer Wahrscheinlichkeit ursprünglich in einem repräsentativen Holzgestell mit Horizontal- und Meridiankreis fixiert gewesen, das später entfernt und durch einen einfachen Fuß ersetzt wurde. Mit der Bemalung erfuhr der Globus eine Umfunktionierung und Neuzuschreibung: Die Bedeutung des Kartenbildes trat weitgehend zurück, allein die Umrisse der Kontinente und Meere blieben von Bedeutung, an der sich die gemalten Linien und Flächen orientieren. Mit dem tektonischen Globus schuf Kober ein eindrucksvolles Objekt, das die Kontraktionstheorie bis heute auf sehr anschauliche Art präsentiert. Gleichzeitig ist es ein Beispiel für die hohe Improvisationskunst, die oftmals nötig war, um zu optimalen Anschauungsobjekten für die Lehre zu kommen. Da der Globus eine Theorie veranschaulicht, die heute als widerlegt gilt, kann er auch als Symbol für die Dynamik der Wissenschaft gesehen werden.
Der Globus ist zurzeit im Rahmen der Jubiläums-Ausstellung
Das Wissen der Dinge im Naturhistorischen Museum zu sehen:
Ort: Naturhistorisches Museum Wien, Saal 50 (2. Stock)
Adresse: Maria Theresienplatz 1, 1010 Wien
Öffnungszeiten: Do–Mo 9:00–18:30 Uhr, Mi 9:00–21:00 Uhr
Dauer der Ausstellung: 06.05.2015–31.08.2015
Text: Claudia Feigl, Univ.-Prof. Dr. Richard Lein; Foto: Claudia Feigl