Wien, 2. Hälfte 18. Jahrhundert
Holz, Metall
Gefälle stufenweise verstellbar
Maße: L 42 cm, B 8 cm, H 10 cm
Aus der Historischen Sammlung der Fakultät für Physik
Auf den ersten Blick handelt es sich hier für den Laien um ein eher unscheinbares Modell. Es hat aber eine sehr interessante Geschichte, nicht nur, weil die Erfindung dieser Vorrichtung auf Archimedes von Syrakus (um 287–212 v. Chr.) zurückgeht. Er soll diese Schraube bei einem seiner Aufenthalte in Ägypten erfunden haben. Seither wird dieses Gerät zum Hochpumpen von Wasser eingesetzt. Sowohl im Orient als auch in Europa hat die Archimedische Wasserschraube – wohl auch wegen der Beschreibung durch den römischen Architekten Vitruv (ca. 55 v. Chr.–14 n. Chr.) – weite Verbreitung gefunden und ist in ihren verschiedenen Ausführungen aus der heutigen Technik nicht mehr wegzudenken. Für das Fördern von Wasser muss sich die Schraube in einem eng anliegenden Zylinder befinden. Dieser ist beim vorliegenden Modell aus didaktischen Gründen entweder nicht vorgesehen gewesen oder, falls er in Form eines dünnwandigen Glasrohrs jemals vorhanden war, zu Bruch gegangen.
Lehrmittelkataloge des physikalischen Unterrichts um 1900 zeigen, dass die Archimedischen Wasserschrauben damals bereits mit Metallgestell und einer fix verbundenen Wanne gebaut wurden. Das verstellbare Holzgestell unserer Schraube ist daher ein Hinweis auf eine ältere Herkunft. Die weiß gepinselte Aufschrift K. No. 101. b18 ist typisch für ein Inventar, welches die Physikinstitute der Universität Wien schon in der Türkenstraße 3 (Standort von 1875 bis 1912) besaßen. Genauer gesagt, gehörte das vorliegende Modell zum sog. "Physikalischen Cabinet", das 1902 in "I. Physikalisches Institut" umbenannt wurde und ab 1977 "Institut für Experimentalphysik" hieß.
Interessanterweise lässt sich die Spur unseres Modells noch weiter zurückverfolgen: in dem bis heute erhalten gebliebenen kurrent geschriebenen Inventar des Physikalischen Museums aus dem Jahr 1817 steht an Position 98 zu lesen:
Blecherne Archimedische Schnecke ohne Uiberpumpcylinder
mit veränderlichem Winkel auf hölzernem Postamente.
Damit dürfte die Archimedische Schnecke eines der wenigen Objekte aus dem Fach Physik sein, welche die Zeit von 1817 bis heute überdauert haben, insbesondere auch die Phase der Modernisierung des Bestandes des Physikalischen Museums in den 1830er Jahren durch Andreas von Baumgartner (1793–1865, 1823–1855 Professor für Physik).
Im Sommer 2014 gab es dann eine besonders freudige Überraschung: unser Modell dürfte noch weitaus älter sein als bisher angenommen. Im Kunsthistorischen Museum Wien wurde nämlich ein Übergabeprotokoll gefunden, aus dem hervorgeht, dass am 24. Dezember 1790 aus dem "k.k. Kunst-Cabinette" 155 Objekte aus Physik und Mechanik – darunter auch eine Cochlea (Schnecke) Archimedea von Blech – an das Physikalische Museum der Universität Wien übergeben wurden. Anton Ambschell (1749–1821) bescheinigte die Übernahme als Professor der Physik und Mechanik. Die Übergabe war naheliegend, nachdem schon einige Direktoren des Physikalischen Museums gleichzeitig experimentelle Demonstratoren im kaiserlichen Kunst-Kabinett waren. Man kann davon ausgehen, dass die Archimedische Schraube aus dem Kaiserhaus in Ehren gehalten wurde und es sich dabei um vorliegendes Objekt handelt. Jedenfalls kann nun die Herstellung dieser Schraube noch einige Jahrzehnte früher angesetzt werden. Möglicherweise haben schon Maria Theresia (1717–1780) und ihre Kinder an unserer Schraube gekurbelt. Eine vergleichbare Archimedische Schraube im Museum Physicum in Linz ist mit dem Jahr 1761 datiert.
Passend für diese Zeit stellt das Lehrbuch Institutionum Mechanicarum von Pater Carolo Scherffer SJ (1716–1783) aus dem Jahre 1773 auf Bildtafel V. unter anderem auch die Archimedische Schraube dar, in der eine (schwarze) Kugel hochbefördert wird, wenn man die Kurbel nach links dreht. Pater Scherffer unterrichtete an der Universität Wien unter anderem auch Mechanik. Abschließend sei noch bemerkt, dass die weltweit größte Archimedische Schnecke in Österreich als Wasserkraftschnecke an der Mürz in Kindberg eingesetzt wird. Sie ist 19 Meter lang und hat einen Durchmesser von 3,6 Metern. Das Prinzip der Archimedischen Schraube oder Schnecke ist hier umgekehrt: es wird nicht gekurbelt und Wasser gefördert, sondern das durchfließende Wasser dreht die Schraube, die einen stromerzeugenden Generator antreibt.
Diese Archimedische Schraube ist zurzeit im Rahmen der Jubiläums-Ausstellung
Das Wissen der Dinge im Naturhistorischen Museum zu sehen:
Ort: Naturhistorisches Museum Wien, Saal 50 (2. Stock)
Adresse: Maria Theresienplatz 1, 1010 Wien
Öffnungszeiten: Do–Mo 9:00–18:30 Uhr, Mi 9:00–21:00 Uhr
Dauer der Ausstellung: 06.05.2015–31.08.2015
Text und Foto: Ass.-Prof. Mag. Dr. Franz Sachslehner