Botanische Wandtafel: Muskatellersalbei

Botanische Wandtafel: Muskatellersalbei

Wandtafel: "Salvia" von Arnold Dodel, 1877/1878
Anatomisch-physiologischer Atlas der Botanik, 40. Tafel.
"Die Muskateller- und Wiesensalbei. Definitive Tafelnummer XL. Aus Lieferg. I."

Farblithografie (signiert: Conrad lith)
Papier auf Leinen
Maße: 63,5 x 88 cm
Drucker: J. F. Schreiber, Esslingen
Inv.No. 443, 40. Taf.
(Rückseite gestempelt: 178)

Aus der Historischen Sammlung des Departments für Molekulare Systembiologie


Was wären heute ein Gastvortrag bei einer Tagung, die Präsentation von Forschungsergebnissen vor einer Fachcommunity oder ein Referat in einer Lehrveranstaltung ohne den Einsatz von Powerpoint-Folien? Am einprägsamsten wirken sie, wenn Abbildungen einen gut strukturierten Text begleiten und helfen, das mündlich Vorgetragene zu veranschaulichen, die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft zu fokussieren, das Wesentliche des Inhalts zu verdeutlichen. In der Vergangenheit bewirkten Wandtafeln Ähnliches in Unterricht und Wissenschaft. Kleine Kinder waren die erste, frühe Zielgruppe für diese didaktischen Hilfsmittel, nicht nur aus reformpädagogischen Gründen, sondern mit bedingt durch steigende Schülerzahlen (allgemeine Schulpflicht) und wachsende Klassengrößen: während die Lehrenden sprachen, sollten alle im Raum gleichzeitig dasselbe betrachten können und zugleich auch ihre Beobachtungsgabe schärfen. Bald bediente man sich auch seitens der Wissenschaft dieses Mediums, sowohl für höhere Schulstufen und für die Breitenbildung der Bevölkerung als auch für den Hochschulunterricht, und dies vor allem in den Naturwissenschaften: als Schautafeln oder Wandbilder, oft in Form von Platz sparenden Rolltafeln. Neuerungen in der Druck- und Reproduktionstechnik trugen dazu bei, dass solche Anschauungsmittel "für jedermann" erschwinglich wurden.

Unsere hier präsentierte botanische Wandtafel stammt aus den späten 1870er Jahren. Sie wurde von dem Schweizer Botaniker Arnold Dodel  (1843–1908) gezeichnet, von einem Künstler der Lithographen-Genossenschaft Zürich umgesetzt und von der technologisch auf der Höhe der Zeit produzierenden Druckanstalt  J. F. Schreiber in Esslingen am Neckar  in der damals neuen Drucktechnik als Chromolithografie  gefertigt. Dargestellt wird - in der Bildmitte und groß - der Bestäubungsvorgang einer Muskatellersalbeiblüte durch eine Holzbiene . Die kleineren schematischen Zeichnungen darüber und rechts unten zeigen den Bau einer Blüte, ihre Staubgefäße und den Kopf des Insekts. Für jede Abbildung wird der Vergrößerungsmaßstab angegeben (1:15, 1:6, usw.).

Dodel-Port, Atlas.
Salvia Sclarea.
"Die neuere physiologische Botanik hat das früher ungelöste Rätsel der Farbenpracht, des Honigabsonderns und des Wohlgeruchs der höheren Pflanzenblüthen in überraschend schneller Zeit gelöst. /.../ Von den mannigfaltigen, in den verschiedenen Blumen vorhandenen Einrichtungen, die speciell der Fremdbestäubung dienen, ist keine frappanter und keine leichter zu demonstriren, als die Einrichtung des Sexualapparates bei der Muskateller-Salbei und bei der gemeinen Wiesen-Salbei, denen wir die vorliegende Tafel gewidmet haben."

Diese Tafel ist eines von sechs Blättern aus der ersten Lieferung des sogen. Dodel-Port Atlas, an dem nicht nur Arnold Dodel selbst sondern auch seine Frau Carolina, geb. Port  (1856–?), mitgearbeitet hat. Arnold war Hochschullehrer in Zürich, Carolina war "academisch gebildet" und offenbar spezialisiert auf das Mikroskopieren. Zusammengearbeitet wurde mit den damals führenden Experten im deutschsprachigen Raum, etwa mit Anton de Bary  (1831–1888) Botaniker in Straßburg, mit Oscar Brefeld  (1839–1925) Mykologe in Berlin, mit Ferdinand Julius Cohn  (1828–1898) Bakteriologe in Breslau oder mit Julius Sachs  (1832–1897) Pflanzenphysiologe in Würzburg. "Lieferung I" war von den Herausgebern als Probelieferung konzipiert. Insgesamt sollten 42 Tafeln für den Gebrauch in Mittelschulen und den akademischen Unterricht erscheinen, außerdem 18 weitere Blätter als Supplement-Lieferung "für den ausschließlichen Gebrauch an Hochschulen und Academien". Die Ankündigung der zweiten Lieferung in dem in Zürich 1879 erschienenen Wochenblatt für Erziehung und Unterricht (= Pädagogischer Beobachter) betreibt gutes Marketing und nimmt Bezug auf Lieferung I:

"Ueber die ersten 6 Blätter urtheilten die Fachleute im höchsten Grade günstig und konstatirten übereinstimmend, dass das Werk ein ganz vorzügliches Hülfsmittel für den Unterricht sei. Dr. Boehm in Wien sagt, 'dasselbe sei, wie kaum irgend ein anderes Werk, geeignet, die Jugend für das Studium der Botanik zu begeistern.' Ebenso bemerkt Charles Darwin: 'Die Zeichnungen sind prächtig, und so viel ich beurtheilen kann, naturgetreu. Das Werk wird für den Unterricht ganz unschätzbar sein. Ich werde dasselbe Jedermann bestens empfehlen.' Möchte dem Darwinianer Dodel, der seit vielen Jahren mit riesigem Fleiss und erstaunlicher Zähigkeit im Dienste der Wissenschaft arbeitet, endlich auch die Anerkennung zu Theil werden, die sein Streben verdient."

Zu jeder Tafel erschien ein Begleittext mit der Absicht, "in verständlicher Form die wissenschaftliche Erklärung der dargestellten Gegenstände zu liefern. /.../ Er wird, dem Charakter und der Tendenz der Tafeln entsprechend, von Erörterungen problematischer Natur sich freihalten."

Ein Ausschnitt aus solch einem Begleittext, passend zu unserem Objekt des Monats, ermutigte sogar zu Learning by Doing:

"Von der vortrefflichen Einrichtung des Hebelapparates an den Staubblättern der Salbei-Blüthen kann sich Jedermann leicht überzeugen, wenn eine Bleistiftspitze oder eine Stecknadel in die vollkommen entwickelte frische Blüthe von Salvia pratensis oder von Salvia Sclarea in ähnlicher Weise eingeführt wird, wie die Biene ihren Rüssel zum Honigbehälter vorschiebt. Dabei bewegen sich die oberen Theile der Staubblätter so, dass der hintere Theil der Bleistiftspitze mit Pollen behaftet wird. Durch diesen mechanischen Eingriff ist es uns jederzeit möglich, an derartigen Blüthen künstlich die Fremdbestäubung zu vermitteln und dadurch die Stelle von honigsuchenden Insekten einzunehmen."

Diese Wandtafel als Digitalisat  in Phaidra und der Begleittext dazu als pdf-Datei.

Anm. d. Redaktion:
Für "Botanische Wandtafeln" der Universität Wien beginnt soeben (Herbst 2018) ein Digitalisierungsprojekt der Sammlungen-Koordinierungsstelle. Die Objekte werden zum Teil restauriert, fotografiert bzw. eingescannt und in Phaidra hochgeladen. Nach der Bearbeitung i. S. einer Basiserschließung stehen sie sofort weltweit dauerhaft zur Verfügung.

Literatur:

Anatomisch-physiologischer Atlas der Botanik für Hoch- und Mittelschulen, als: Universitäten, Academien, land- und forstwirthschaftliche Hoch- und Mittelschulen, Lehrer-Seminarien, Gymnasien, Real- und Secundarschulen etc. etc. ; in 42 colorirten Wandtafeln nebst Text, sowie 18 Supplement-Blättern für den academischen Unterricht herausgegeben von Dr. Arnold Dodel-Port, Docent der Botanik an der Universität und am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, und Carolina Dodel-Port in Zürich. Esslingen a. N.: Druck und Verlag von J. F. Schreiber. 1878. (Digitalisat) 

BUCCHI, Massimiano: Images of science in the classroom: wallcharts and science education 1850-1920. In: BJHS 31 (1998), S. 161-184. (Digitalisat)

Erläuternder Text zum anatomisch-physiologischen Atlas der Botanik : für Hoch- und Mittelschulen, als: Universitäten, Academien, land- und forstwirthschaftliche Hoch- und Mittelschulen, Lehrerseminarien, Gymnasien, Real- und Secundarschulen etc. etc. ; enthaltend 42 colorirte Wandtafeln. Dodel, Arnold, 1843-1908 [HerausgeberIn]. Esslingen : Schreiber ; 1883. Exemplar im Bestand der UB Wien

Text: Dr.in Margit Sandner, Foto: Digitalisat der Universität Wien, DLE Bibliotheks- und Archivwesen: Sammlungen