Übermodellierter Schädel

Übermodellierter Schädel

Mit tonartiger Masse übermodellierter Schädel aus dem Sepik-Gebiet (Papua-Neuguinea)
Holz, Naturfaser (bemalt), Nägel
Maße: H 15,5 x B 16 cm
Inventar-Nummer: Oz 90
Aus der Ethnographischen Sammlung des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie


Auf den ersten Blick scheint dieses "Objekt des Monats" verstörend, sicher unpassend und schon gar nicht geeignet für eine Reihe wie diese. Das kristallartige Leuchten, die gebrochene Struktur oder die Spiralmuster auf einem Teil des Gebildes vertiefen den Eindruck. Erst auf den zweiten Blick kann man erahnen, worum es sich wirklich handelt: um einen menschlichen Schädel. Ein Schädel ist mehr als ein Objekt oder ein Ding und Objekte sind mehr als Dinge. Sie haben ihren Wert, ihre Bedeutung und ihre Geschichte. Manche dieser Objekte werfen auch einen (metaphorischen) Schatten, der weit über ihr eigentliches Sein hinausreicht. Viele grundlegende Fragen und Probleme knüpfen sich an sie, drängen sich auf, lassen sich an ihnen diskutieren. Manche dieser Objekte "lauern" in den Depots, ohne dass man weiß, wie mit ihnen umzugehen sei. Gelegentlich liegt dies an der Art oder am Zustand der Objekte, manchmal auch an ihrer Herkunft – der Provenienz – oder dem Unwissen über das Objekt selbst: Was ist es? Was soll es darstellen? Bei anderen Objekten stellen sich eher die Fragen nach dem Ausstellen: Was soll man zeigen? Was darf man zeigen? Was muss man sogar zeigen?

Diese drei Fragen stehen oft am Anfang der Planung einer Ausstellung. Sie haben jedoch einen tieferen Hintergrund als nur die nächste Objektpräsentation. Besonders bei Objekten aus dem Ritualbereich, die mit tiefer emotionaler Bedeutung behaftet sind, oder bei menschlichen Überresten sind diese Probleme sehr offensichtlich. Viele solcher Überreste, wie dieser übermodellierte Schädel aus dem Sepikgebiet , sind auf nicht mehr nachvollziehbaren Wegen in den Sammlungen gelandet. Zum Teil wurden sie geraubt, aus Grabstätten geplündert oder im kolonialen Kontext (mehr oder meist eher weniger fair) getauscht. Doch wie geht man mit solchen Objekten um? Ergibt eine Rückgabe oder eine Repatriierung Sinn? Ist bekannt wie und woher die Überreste stammen, warum sie in der Sammlung gelandet sind, oder ob sie in der jeweiligen Ursprungskultur überhaupt eine größere Bedeutung hatten? Dazu kommt: Darf man menschliche Überreste ausstellen? Ist das nicht pietätlos? Allein: wo ist der Unterschied beispielsweise zwischen einem menschlichen Schädel und einer präparierten Leiche in einer medizinischen bzw. medizinhistorischen Sammlung, einer Mumie aus Ägypten oder dem Ötzi? Wo sind die Grenzen des Zeigbaren? Diese Grenzen sind nicht immer einfach zu ziehen und fallen je nach Disziplin, Universität oder Land oft unterschiedlich aus.

Über diesen menschlichen Schädel aus der Ethnographischen Sammlung des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie ist kaum etwas bekannt. Er stammt aus dem mittleren Sepikgebiet in Papua-Neuguinea, vermutlich kommt er von den Iatmul . Darauf lassen die Art der Schädelgestaltung sowie der Sammelakt schließen. Dieser Ahnenschädel, wurde präpariert und mit Ton übermodelliert. Ihm wurden Muster eingezeichnet, er wurde bemalt, und am Hinterkopf wurden Zöpfe angebracht. Die Augen wurden entnommen und durch Kauri-Muscheln ersetzt. Ahnenschädel waren eine hoch spirituelle Angelegenheit. Sie wurden im Alltag etwa als Kopfstütze genutzt. Die Ahnen konnten so durch ihre Schädel am Leben "teilhaben". Dennoch sind sehr viele zum Handelsgut geworden. Vergleichbare Überreste von Ahnen oder von erschlagenen Feinden gibt es in recht vielen Sammlungen und tauchen immer wieder bei Auktionen auf. Dieser Schädel kam im beginnenden 20. Jahrhundert nach Wien. Mehr ist bisher über seine Herkunft nicht bekannt.

Doch warum ist er an der Universität Wien und in den Depots der Ethnographischen Sammlung gelandet? Bisher sind keine Unterlagen darüber auffindbar. Aktuell wissen wir noch nicht, ob er geraubt, gestohlen oder gehandelt wurde. Sollte er zurückgegeben werden? Soll er bestattet oder bewusst in wiederhergestelltem Kontext präsentiert werden? Derzeit beginnen erst diesbezügliche Recherchen. Bevor wir entscheiden, wie mit diesem Ahnenschädel umzugehen sei, wird erst einmal sein Zustand beschrieben und erfasst. Falls nötig, soll er eventuell restauriert werden, damit er in einem optimalen Zustand ist. Danach soll in einem kleinen Forschungsprojekt versucht werden, die Geschichte dieses Schädels und seine Sammlungsgeschichte zu rekonstruieren. Sollte es sich als richtig und ethisch notwendig erweisen, dann kann er repatriiert, bestattet oder weiter gelagert, möglicherweise sogar respektvoll ausgestellt werden. Wichtig für eine Sammlung ist es, dass alle diese Schritte ausführlich dokumentiert werden.

Als ersten Schritt für die Auseinandersetzung mit diesem Schädel findet am 7. und 8. November 2018 der Workshop "Tote Körper zwischen Nutzen und öffentlichem Ärgernis. Ethische, politische, kulturelle Überlegungen zum Umgang mit menschlichen Überresten"  statt. Wir erhoffen uns von diesem Workshop und dem Folgeprojekt Hilfestellungen, um einen respektvollen Umgang und eine ethisch vertretbare Aufbewahrung für diesen Schädel zu ermöglichen.

Workshop-Programm (PDF)

Anmerkung des Verfassers:
Mein Dank für die Mithilfe und wertvollen Diskussionen geht an Wolfgang Kraus und die Studierenden des Vorlesungsseminars "Im Dialog mit Objekten. Materielle und digitale Objekte zum Sprechen bringen".

Literatur

BATESON, Gregory (1932). Social Structure of the Iatmül People of the Sepik River. In: Oceania, Bd. 2, S. 245-291; 401-453. Zeitschrift im Bestand der UB Wien
GLASSIE, Henry (1991). Studying Material Culture Today. In: Pocius, Gerald L. (Hg.): Living in a Material World. Canadian and American Approaches to Material Culture. St. John’s, S. 253-266.
OHLIG, Silke (2006). Zeichen am Sepik. Die Neuguinea-Sammlung des Seeoffiziers Joseph Hartl von 1912 und 1913 im Staatlichen Museum für Völkerkunde München als semiotischer Untersuchungsgegenstand. Dissertation. Ludwig-Maximilians-Universität München.

Text: Dr. Igor Eberhard, Foto: Ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Kraus