Fotografie auf beschriftetem Karteiblatt, um 1969
Fotograf*in unbekannt
Maße: 14,8 x 21 cm
Inv.-Nr: SHF F300
„Nachlass Fotosammlung Fielhauer“
Aus der Sammlung des Instituts für Europäische Ethnologie
„Ich bin einfach nur neugierig und möchte wissen, wie meine Mitmenschen leben oder gelebt haben, um sie zu verstehen und vielleicht auch den Jungen nach uns sagen zu können: so war es, das und das könnt ihr besser machen.“
Dieses Zitat stammt von dem österreichischen Volkskundler Univ. Prof. Helmut Paul Fielhauer (1937–1987) und spiegelt sehr treffend dessen Begeisterung für sein vielfältiges wissenschaftliches Wirken und seine Forschungsprojekte wider. Er entwickelte sich im Laufe seines Schaffens von einem neugierigen jungen Brauchforscher zu einem kritischen und sozial engagierten Vertreter der Volkskunde seiner Zeit und legte seine Schwerpunkte auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen der Arbeiterkultur und ethnischen Gruppen, Industrialisierung im ländlichen Raum, Brauch- und Großstadtforschung sowie auf das kulturwissenschaftliche Ausstellungs- und Museumswesen. Im Zuge seiner Brauchforschung wandte sich Fielhauer vor allem Niederösterreich zu, da dieses Gebiet zum damaligen Zeitpunkt noch als volkskundliches Neuland galt. So kam es dann auch zu der bedeutenden Entdeckung eines beeindruckenden Fronleichnamsbrauchs im Bezirk Wiener Neustadt mit sogenannten "Fronleichnamsstangen" von dem man bis dahin nicht wusste, dass es diesen auch im niederösterreichischen Raum gibt. Fielhauer veröffentlichte daraufhin seine Forschung über „Die Fronleichnamsstangen in Rohr im Gebirge“ – in diesem Kontext ist auch die hier vorgestellte Karteikarte bzw. Fotografie entstanden.
Über die Entstehung des Brauches der "Rohrer Fronleichnamsstangen" gibt es mehrere Auslegungen, wobei Ursprungssagen auf lokale Ereignisse wie Hungersnöte oder die Pest hinweisen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um eine Sinnesvergegenwärtigung alter, schon lange bestehender Bräuche handelt. Bei der Fronleichnamsprozession in Rohr im Gebirge werden die sogenannten Fronleichnamsstangen von je zwei unverheirateten Burschen abwechselnd getragen. So zeigt nun diese Fotografie, wie die ungefähr sechs Meter langen Holzstangen, zeitig am Morgen des Festtages von den Trägern mit Blumengirlanden umwickelt werden. Danach wird ein aus Fichtenwipfeln gebundenes etwa einen halben Meter hohes kugeliges Gebilde genannt der „Wirl“ oder „Gipfel“ angebracht, an den dann noch ein Blumenkranz mit bunten Bändern befestigt wird. Der Blumenschmuck für die Fronleichnamsstangen wird von örtlichen Familien mit selbst gesammelten Blumen am Vortag der Heiligen Messe gebunden. Ein wesentlicher Aspekt besteht darin, dass die Stangen unmittelbar nach der Prozession wieder von ihrem Blumenschmuck befreit werden. Die nun geweihten Girlanden und Kränze werden von den Rohrer Familien mit nach Hause genommen und dort aufbewahrt, um Schutz vor Unwettern und Seuchen zu bringen.
Der Nachlass Helmut Fielhauers kam nach seinem Tod im Jahr 1987 an das Institut für Europäische Ethnologie, um dort verwahrt zu werden. Die Sammlung des Instituts besteht zu wesentlichen Teilen aus Forschungsnachlässen ehemaliger Institutsangehöriger und spiegelt somit die unterschiedlichen Interessen und Forschungsschwerpunkte der MitarbeiterInnen wider. Die Karteikarte ist Teil der Fotosammlung des Nachlasses von Helmut Fielhauer, der sich in fünf Medientypen einteilen lässt: in Schwarzweiß- und Farbfotografien, Kleinbilddias, Positive und Negative sowie Filmrollen. Insgesamt umfasst dieser Bestand 702 Objekte, welche als Abschlussprojekt im Rahmen des Universitätslehrganges "Library and Information Studies" an der Universität Wien bearbeitet wurden. Ziel des Projektes war sowohl die Erschließung und Erfassung der Objekte, als auch die Entwicklung eines Konzepts für eine konservatorisch bestmögliche Lagerung und Langzeitarchivierung. Der Nachlass von Helmut Paul Fielhauer ist in erster Linie für all jene von Interesse, die sich mit folgenden Themen befassen: Migration, Minderheiten, kulturelle Pluralität, Sprachkompetenz, Arbeitslosigkeit, Vielfalt der Heilkunde, Nahrungsversorgung, Museumspädagogik, Bräuche aus Niederösterreich und Wien. Seit Abschluss des Projekts im Jänner 2021 ist die Fotosammlung nun vollständig inventarisiert, digital erschlossen, in säurefreien Archivboxen umgelagert und somit für Interessentinnen und Interessenten zugänglich.
FIELHAUER, Helmut (1964): Die Fronleichnamsstangen in Rohr im Gebirge. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, Folge 36/1964 (Festschrift zur 100-Jahrfeier), Wien, S. 828-843 Zeitschrift im Bestand der UB Wien
FIELHAUER, Helmut (1969): Die "Fronleichnamsstangen" in Rohr im Gebirge/Niederösterreich , Video, Spieldauer: 00:22:52 Digital verfügbar im Audiovisuellen Archiv der Österreichischen Mediathek am Technischen Museum Wien
PAMMER, Josef (2015): Mut zum Aufbruch – Helmut Paul Fielhauer (1937 - 1987). Masterarbeit, Universität Wien, Wien (elektronisch verfügbar auf dem Hochschulschriften-Server der Universität Wien)
Text: Mag.a Aleksandra Aleksic, Marija Antunovic MA, Cornelia Schmidt; Projektbetreuung: Mag.a Claudia Feigl & Mag.a Susanne Müller-Wicha