Medaille aus Lava

Medaille aus Lava

Medaille aus Lavagestein des Vesuv, 1871
Maße: 84,9 mm (L) x 78,8 mm (B) x 13,5 mm (H)
Durchmesser der Prägung: 64,7 mm
Inventarnummer: 68861
Aus der Studiensammlung des Instituts für Urgeschichte und Historische Archäologie


Dass die Suche nach attraktiven Urlaubs-Souvenirs, die entweder als persönliche Erinnerung an einen eindrucksvollen Ort oder als Mitbringsel dienen, kein modernes Phänomen des Massentourismus im 20. Jhdts. ist, wird anhand besonderer italienischer Stücke ersichtlich, die heute nur vereinzelt in Sammlungen anzutreffen sind und deren Kontext auf den ersten Blick oftmals unklar ist. Souvenirs aus Lava muten heute eher unüblich an, im 19. Jhdt. hingegen handelte es sich um begehrte Objekte. Ein Stück Vulkan von einer Italienreise mitzubringen trägt den Beigeschmack eines Abenteuers und passt gut zum aufkommenden Bildungs- und Kulturtourismus der Oberschicht, der sich in diesem Zeitraum in Europa großer Beliebtheit erfreute.

Ein Konvolut aus diesen Souvenir-Gegenständen ging mit einer Vielzahl anderer Objekte im Februar 2020 in die Studiensammlung des Instituts für Urgeschichte und Historische Archäologie als Geschenk des Museums der Stadt Bad Ischl  ein. Dieses Konvolut umfasst eine schwarzglänzende Medaille, eine ebenso schwarze, beidseitig geprägte Plakette und zwei in dieselbe Masse eingedrückte Kupfermünzen mit dem Abbild von Vittorio Emanuele II.  (1820–1878). Nach einem Gespräch mit Prof. Dr. Szaivert, Spezialist für Medaillen aller Art am Institut für Numismatik und Geldgeschichte der Universität Wien, war klar, dass es sich hierbei um italienische Objekte handelt, die selbst in numismatischen Fachkreisen kaum bekannt sind. Es stellte sich heraus, dass es sich bei diesen Objekten um ein, allem Anschein nach, rein italienisches Phänomen handelt, dessen Zweck ursprünglich ein ganz anderer als ein numismatischer war. Ursprünglich hatten diese Objekte auch keinen Souvenircharakter im heutigen Sinne.

Sie dienten als mineralogische Proben, die Geologen und Vulkanologen bei Ausbrüchen anfertigen ließen, um diese später hinsichtlich ihrer Zusammensetzung untersuchen zu können. Die ältesten bekannten Lava-Medaillen stammen aus dem Jahr 1804 und gehen auf Nicola Filomarino Duca della Torre  (1751–1799) zurück, einem Gelehrten und Experten für Vulkanologie. Um 1820 setzte eine groß angelegte Produktion ein, wodurch diese Medaillen auch außerhalb der Forschungskreise bekannt wurden. Fremdenführer erkannten bald das Potential dieser Prägungen und es entwickelte sich eine rege Produktion. Die Lava-Medaillen erfuhren unterschiedliche Ausprägungen und wurden auch als Andenken an bedeutsame Ereignisse produziert. So finden sich zahlreiche unterschiedliche Portraits auf diesen Medaillen. Die geprägten Stücke umfassen Portraits von Herrschern, Päpsten, Generälen, lokalen Berühmtheiten sowie mythologischen und religiösen Motiven. In der ersten Hälfte des 20. Jhdts. bekamen die Motive zunehmend propagandistischen Charakter. So finden sich hier auch Medaillen, die Adolf Hitler oder Mussolini gewidmet wurden.

Die hier vorliegende Medaille aus dem Stadtmuseum Bad Ischl zeigt am Avers Guiseppe Garibaldi  (1807–1882) im Profil nach rechts. Garibaldi war italienischer Freiheitskämpfer und einer der populärsten Protagonisten des Risorgimento, der großen italienischen Einigungsbewegung, die 1820 einsetzte und bis etwa 1870 dauerte. Die Vereinigung des Kirchenstaates mit Italien wurde am 6. Oktober 1870 durch königliches Dekret proklamiert. Somit war das Ziel des Risorgimento erreicht. Im Zuge dessen wurde die italienische Hauptstadt im Jahr 1871 von Florenz nach Rom verlegt. Darin, oder im Ausbruchsereignis von 1871 ist wohl der Grund zu sehen, weshalb eben diese Jahreszahl unter den qualmenden Vesuv auf dem Revers eingeprägt wurde. Die anderen Objekte aus Lava sind nicht weniger interessant: Eine Plakette mit der eingeprägten Inschrift „SALVATORE MADONNA“, zeigt rückseitig das Jahr ihrer Entstehung, nämlich 1834. Die Beschriftung der Vorderseite wird in der Literatur einem bekannten Fremdenführer der damaligen Zeit zugeordnet, der sich solcherart mit seinem Namen verewigte.

Wie sich alten Reiseführern entnehmen lässt, bot man auch eine „Do-it-yourself“-Touristenattraktion am Vulkan an. So durften die Besucher selbst, nach Angaben des Baedeker-Reiseführers für Italien aus dem Jahr 1896, für einen Franc – beziehungsweise eine Lira – selbst die Kupfermünzen in die noch flüssige Lava drücken und das erkaltete, ausgebrochene Stück als Souvenir mitnehmen. In dem Reiseführer wird zwar vor der Gefährlichkeit der flüssigen Lavaströme gewarnt, jedoch in einer Art, über die jeder heutige Sicherheitsbeauftragte betroffen den Kopf schütteln würde: Das einzige Sicherheitsrisiko, das man bei so einer Aktion eingehen würde, so steht es geschrieben, wären durch die Hitze angeschmolzene Schuhsolen und ein dadurch ruiniertes Schuhwerk.

Nach dem letzten großen Ausbruch des Vesuvs im Jahre 1944 ist die Produktion zum Erliegen gekommen. Im Real Museo Mineralogico  von Neapel ist diesen Objekten eine eigene Vitrine  mit dem Titel „Il medagliere“ gewidmet. Die dortige Sammlung umfasst sämtliche Medaillen und Lava-Objekte in unterschiedlicher Größe, die allesamt aus der Lava des Vesuvs angefertigt wurden. Heutzutage finden sich Objekte aus Lava über die Welt verstreut, so finden sich zum Beispiel auch in der mineralogischen Sammlung der englischen Museen Manchester und Wales mehrere Exemplare. Am beliebtesten und bekanntesten sind wohl die viktorianischen Kameen, die aus Lava geschnitzt wurden und deutlich höherpreisiger als die Souvenir-Münzen gehandelt werden. Man findet sie hin und wieder auf Kleinanzeigen-Portalen oder auch bei Auktionen renommierter Auktionshäuser. Während hier der Ursprung dieser sonderbaren Objekte oft noch bekannt ist, sind die Geschichten der Lava-Souvenirs, die in Privatbesitz durch viele Hände gingen, meistens verloren.

Weiterführender Link:

Literatur:

ARANGIO, SUSANNA: „Alle origini dell´iconografia garibaldina: note su alcune rappresentazioni dell´eroe tra il 1848 e la Seconda Guerra d´indipendenza“, In: „Annali online Università di Ferrara, Lettere“ (AOFL), Nr. 2, Ferrara 2015, S.258–281. Digital verfügbar (pdf) 

BAEDEKER KARL: Baedeker´s Guide Books: „Third Part: Southern Italy and Sicily“, zwölfte überarbeitete Edition, 1896, S. 117. Online verfügbar 

VOM RATH G., „Der Vesuv vom 1. und 17. April 1871“, in: „Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften“, Nr. 39–40, 1872, S. 254-S.259. Online verfügbar 

DE LUCIA M., RUSSO M: & RICCIARDI G.P.: „120 ANNI DI STORIA DELL’ITALIA E DEL VESUVIO NELLA COLLEZIONE DI MEDAGLIE DI LAVA VESUVIANA DELL’OSSERVATORIO VESUVIANO“, in: Hrsg. ISPRA - Institut für Umweltschutz und Forschung, „UOMINI E RAGIONI: I 150 ANNI DELLA GEOLOGIA UNITARIA Sessione F4 - Geoitalia 2011 VIII Forum Italiano di Scienze della Terra“, Turin 2011, S. 151–160. Digital verfügbar (pdf) 

HAYCOCK, Andrew: "Souvenirs from a volcano". Blogeintrag auf der Webseite des National Museum Wales (22. Oktober 2019) Online verfügbar 

RAPISARDA, Cettina: Lava memoriae deodati dolomieu. Alexander von Humboldts Gesteinsstudien in Neapel. In: HIN – Internationale Zeitschrift für Humboldt Studien, Bd. 18 Nr. 35 (2017), S. 39–70. Online verfügbar 

UZZO TULLIA, A. MAURO, RICCIARDI P. GIOVANNA, DE VITA SANDRO: „La valorizzazione delle collezioni storiche di interesse scientifico: l’esempio delle medaglie di lava dell’Osservatorio Vesuviano“, in: „Quaderni di Geofisica“, Nr. 114, 2013, S. 4–67. Digital verfügbar (pdf) 

Medaille aus Lava

Text: Cordula Engeljehringer, BA BA; Fotos: Garbiele Gattinger