„Der 'Egetmann' beim Verkünden“

„Der 'Egetmann' beim Verkünden“

Glasplatten-Dia „Der 'Egetmann' beim Verkünden", 1942
Fotograf: Richard Wolfram (1901–1995)
Maße: 8,5 x 10 cm
Inv.-Nr.: SRW 01 GD076
Aus der Sammlung des Instituts für Europäische Ethnologie


Das Glasplatten-Dia „Der 'Egetmann' beim Verkünden“ stammt aus dem Teilnachlass von Richard Wolfram (1901–1995), welcher im Jahr 1987 als Schenkung an das Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien kam. Der Bestand umfasst verschiedenste Objektgruppen: 14 Holz- und Kartonkisten mit Glasplatten-Dias, Filme, Fotos, Ansichtskarten und Korrespondenzen. Die Filme wurden zu einem großen Teil der Österreichischen Mediathek übergeben und sind bereits digitalisiert. Diese Digitalisate und Filme aus der „Sammlung ÖWF“ sind öffentlich zugänglich.

Richard Wolfram wurde 1901 in Wien geboren, maturierte 1920 mit Auszeichnung und studierte anschließend Germanistik, Skandinavistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien. 1934/1936 habilitierte er sich bei Rudolf Much (1862–1936) für „Germanische Volkskunde und Neuskandinavistik“. Von 1928 bis 1938 war Wolfram Lektor für schwedische Sprache an der Universität Wien. Schon 1932 trat er der damals illegal im Untergrund tätigen österreichischen NSDAP bei. Im Jahr 1938 übernahm er die Leitung der „Lehr- und Forschungsstätte für germanisch-deutsche Volkskunde“ innerhalb der 1935 von Heinrich Himmler (1900–1945) eingerichteten „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe" in Salzburg und Wien. 1939 wurde er zum ao. Universitätsprofessor für „germanisch-deutsche Volkskunde“ der Universität Wien ernannt. Ab 1940/41 fungierte Wolfram als wesentliches Mitglied der „Kulturkommission Südtirol“, die sich mit der Umsiedlung der Südtiroler in das Großdeutsche Reich befasste. Nach Kriegsende wurde ihm wegen seiner nationalsozialistischen Belastung die Lehrbefugnis entzogen, welche er 1954 jedoch wiedererlangte. 1959 wurde Wolfram zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt und schließlich 1963 zum ordentlichen Professor berufen; 1972 erfolgte seine Emeritierung. Wolfram starb 1995 in Traismauer bei Sankt Pölten (NÖ).

Das Motiv des ausgewählten Dias zeigt eines von insgesamt 18 Bildern aus dem Teilnachlass von Richard Wolfram, die Wolfram vom Egetmann-Umzug in Tramin (Südtirol) im Rahmen der Kulturkommission Südtirol der SS am 25. Februar 1941 angefertigt hatte. Dabei ging es nicht in erster Linie um den Brauch selbst, sondern um die Möglichkeit, diesen filmisch zu dokumentieren, bevor die Bevölkerung infolge der sogenannten "Option" die angestammte Heimat verlassen sollte. Unter Anleitung von Richard Wolfram entstanden so zwei Filme sowie eine Vielzahl von Dias. Abgebildet ist hier eine Hochzeitskutsche vor bergiger Landschaft, darauf sitzend zwei Diener, die Braut und die Hauptfigur des Egetmann-Umzuges: die Bräutigam-Puppe „Egetmann Hansl“, dargestellt mit typischem Zylinder und weißen Handschuhen. Beim Egetmann-Umzug handelt es sich um einen Jahrhunderte alten Tiroler Fastnachts-Brauch, der in Tramin bis heute praktiziert wird. Über die Ursprünge dieses Brauches ist wenig bekannt. Das Dia ist mit der Beschriftung „1/76 Der „Egetmann“ beim Verkünden“ versehen, die sehr wahrscheinlich von Wolfram selbst stammt. Eine ältere Nummerierung wurde überklebt. Verwendet wurde das Dia aller Wahrscheinlichkeit nach für Vorträge und Vorlesungen; darüber hinaus wurde es mindestens zweimal publiziert.

Der Bestand an Glasplatten-Dias umfasst etwa 1.400 Stück Großdiabildplatten-Positive der Größe 8,5 x 10 cm. Sie sind auf der Vorderseite nach Holzboxen-Nummer und in der weiteren Reihenfolge laufend durchnummeriert. Einige der Bilder sind auf der Umrahmung beschriftet und mit Titeln versehen - teils handschriftlich (wobei die Handschrift von Richard Wolfram deutlich von anderen Schriften zu unterscheiden ist), teils mit bedruckten Etiketten. Hier handelt es sich meist um Herstellerangaben (Fotolabors), Provenienzverweise oder alte Inventarnummern. Zur Dia-Sammlung befindet sich am Institut eine Inventarliste, auf welcher die Bilder entsprechend der Ordnung in den Boxen aufgelistet und benannt sind. So ist die systematische Ordnung von Richard Wolfram gut ersichtlich, der die Bilddokumente in seinen Vorlesungen an der Universität Wien und für andere Vorträge – wie z.B. an der Wiener Urania – nutzte. Die Themengebiete umfassen: Bräuche durch den Jahreskreis (vor allem aus Österreich, Deutschland und Südtirol, mit Vergleichen aus dem skandinavischen Raum), Schwerttanz und andere Volkstänze (regional und international), diverse (Gebrauchs-) Gegenstände, Architektur, Trachten und Kopfbedeckungen sowie Felsenmalereien, Ausgrabungen, Runen und Reproduktionen einiger Karten (Germanen, Kelten).

Die Aufarbeitung des gezeigten Dias sowie weiterer rund 200 Dias fand im Rahmen eines Abschlussprojekts aus dem Universitätslehrgang „Library and Information Studies“ statt. Ziel war die digitale Erfassung und Umbettung eines Teilbestands der Glasplatten-Diasammlung Richard Wolframs aus der Sammlung des Instituts für Europäische Ethnologie. Zusätzlich wurden die Glasplatten-Dias in säurefreie Pergaminsäckchen und Archivboxen umgelagert, da diese Materialien eine langfristige Lagerung begünstigen.

Ein zentraler Arbeitsschritt des Projekts war die umfassende Kontextualisierung der Dias, die aufgrund der Tätigkeit Richard Wolframs für die NSDAP unbedingt berücksichtigt werden muss. Dazu wurden zahlreiche Publikationen von Richard Wolfram und Publikationen von Personen aus seinem Wirkungskreis abgeglichen, um den Kontext der Entstehung der einzelnen Dias besser zu verstehen. Zu finden sind die mit Metadaten angereicherten, digitalisierten Dias, samt Inventarliste und Projektarbeit des ULG-Teams im Langzeit-Repositorium der Universität Wien PHAIDRA.

Bildnachweis:

WOLFRAM, Richard: Südtiroler Volksschauspiele und Spielbräuche. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien 1987, Bildteil, Abb. 7: Der Egetmann und seine Braut (Aufn. R. Wolfram). Exemplare im Bestand der UB Wien

Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde (Hg.): Das volkskundliche Foto: Südtirol 1940/41. Realität, Wirklichkeit, Poesie. Verlagsanstalt Athesia. Bozen 2001, Seite 33. Exemplar im Bestand der UB Wien

Literatur & Weiterführende Links:

GREGER, Michael Josef: „Rund 45.000 wissenschaftliche Photoaufnahmen“? Zum Bildnachlass von Richard Wolfram (1901–1995). In: Kulbe, Nadine | Jacobs, Theresa | Keller, Ines | Knöhr, Nathalie | Noll, Marsina | Spieker, Ira (Hg.): Bildarchive. Wissensordnungen – Arbeitspraktiken – Nutzungspotenziale. Dresden 2022. (= ISGV digital. Studien zur Landesgeschichte und
Kulturanthropologie 4), S. 85–115. Online verfügbar

JOHLER, Reinhard: Richard Wolfram und das „Ahnenerbe“: Institutionalisierung der universitären Volkskunde und ihr Verhältnis zur Völkerkunde. In: Gingrich, Andre | Rohrbacher, Peter (Hg.): Völkerkunde zur NS-Zeit aus Wien (1938–1945). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2021. (= Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 913; Veröffentlichungen zur Sozialanthropologie 27, Bde. 1-3), S. 1303–1336. Online verfügbar

OTTENBACHER, Albert: Richard Wolfram. Aufsatz auf der Website des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes Online verfügbar

Geschichte des Instituts für Europäische Ethnologie (vormals Volkskunde) auf der Website des Instituts

Website des Egetmann-Vereins in Tramin (Südtirol): https://www.egetmann.com

Text: Sarah Fitsch, Bahar Naghibi, Andreas Zimmerer | Projektbetreuung: Mag.a Claudia Feigl, MAS und Mag.a Susanne Wicha | Digitalisierung: Fotostudio Leutner