Attisch-rotfigurige Lekythos

Attisch-rotfigurige Lekythos

Geschenk von Prof. Dr. Josef Seegen (1888)
Material: Keramik, bemalt, gebrannt
Höhe: 28,6 cm
Datierung: um 480 v. Chr.
Inv.-Nr. 526 a
Aus der Archäologischen Sammlung


Zwei Jahre nach dem Bezug des neuen Universitätsgebäudes am Ring konnte die Archäologische Sammlung der Universität nach und nach eine Raumflucht im Tiefparterre an der Nordseite des Gebäudes beziehen. 1887/88 teilte sie sich diese Räume noch mit Josef Seegen (1822–1904), außerordentlicher Professor für Balneologie (Heilwasserkunde) an der Universität Wien. Offenbar herrschte zwischen den Archäologen und dem Mediziner ein gutes Verhältnis, denn anlässlich seines Auszuges schenkte er der Sammlung drei attisch-rotfigurige Lekythen mit Fundort Gela (Sizilien), die sogleich als Inv. 526 a, b und c inventarisiert wurden. Wir können davon ausgehen, dass er die Objekte vor Ort gekauft hatte, als er von 1850 bis 1853 als Reisebegleiter und Privatarzt eines Patienten durch Südfrankreich, England, Deutschland und Italien gereist war.

Lekythos war in der griechischen Antike eigentlich ein Überbegriff für mit Duftölen gefüllte Gefäße, wird heute aber hauptsächlich für Ölgefäße mit zylindrischem Körper und enger Mündung und für deren Unterformen verwendet. Neben der Funktion als Behältnis für parfümierte Öle in der weiblichen Sphäre des spätarchaischen und klassischen Athen war es auch als Grabbeigabe ausgesprochen beliebt. Auch diese Lekythos, die von Athen nach Sizilien exportiert worden war, diente dieser Aufgabe. Heute weist sie einige Beschädigungen auf: zum einen ist sie aus mehreren Fragmenten zusammengesetzt, zum anderen besitzt sie viele kleine Vertiefungen in der Oberfläche, die eventuell durch chemische Stoffe während der Lagerung im Boden verursacht wurden, da eine solche mechanische Beschädigung schwer vorstellbar ist.

Abgesehen von einem kurzen Mäanderband als Standfläche und einem Pfeifenfries auf dem Hals ist sie auf die Vorderseite mit einer einzelnen figürlichen Darstellung geschmückt; das restliche Gefäß ist mit schwarzem Glanzton überzogen. In rotfiguriger Technik – also als Aussparung gezeichnet – kauert ein junger Mann mit kurzen lockigen Haaren nach links. Er bläst in ein langes, dünnes Instrument mit kugelförmiger Ausbuchtung am Ende, während vor bzw. über ihm ein Schwert in der Scheide aufgehängt ist. Die großen, ausgebreiteten Flügel auf seinem Rücken legen eine Deutung als Eros nahe, der in archaischer und frühklassischer Zeit noch nicht als kleiner Junge, sondern als junger Erwachsener dargestellt wurde. Sein Blasinstrument – eine Salpinx – und das aufgehängte Schwert setzen ihn in einen kriegerischen Zusammenhang. Dass Eros zum Kampf bläst, wurde in der gesamten Antike allerdings äußerst selten dargestellt. Zugeschrieben wurde die Lekythos entweder dem Vasenmaler Douris (J. D. Beazley) oder einem seiner Schüler, dem "Ödipus-Maler" (R. Guy) um 490/480 v. Chr. in Athen.

Interessant ist dieses Gefäß aber auch wegen seiner herstellungstechnischen Besonderheiten: Vor dem Bemalen eines Gefäßes war eine Skizze hilfreich, um die Proportionen (etwa von Menschen) festzulegen. Dabei wurde – vor allem in der rotfigurigen Technik – die Vorritzung angewandt, also äußerer Kontur sowie Binnenlinien leicht in den lederharten Ton geritzt. Meist wurden diese wohl mit einem Holzgriffel ausgeführten Ritzlinien bei der Ausführung mit einer Glanztonlinie übermalt und sind daher nicht mehr zu erkennen, wie im Fall unseres Jünglings etwa bei der Zeichnung der Oberkörpermuskulatur. Im Bereich der Beine aber hat der Vasenmaler den rechten Unterschenkel (der hinter dem linken, gebeugten Knie gar nicht zu sehen sein sollte) vorgeritzt. Wir können das heute gut erkennen, denn er konnte diese Ritzung weder entfernen noch mit Glanzton bedecken.

Auf der Rückseite (siehe untere Abbildung), schräg unterhalb des Henkels, befindet sich ein roter Bereich – eine sogenannte Fehlbrandstelle. Hier war während des dreistufigen Brandes im Töpferofen die Reduktionsphase gestört worden: Nach einer Anheizphase wird Sauerstoff gezielt zugeführt, um das gesamte Gefäß mit Hilfe des im Ton vorhandenen Eisens rot zu färben (Oxidation, 600 bis 800° C). Daraufhin wird frisches Brennmaterial zugeführt, aber sogleich alle Öffnungen verschlossen, sodass Kohlenmonoxid in der Brennkammer entsteht und sich Ton und Glanzton schwarz färben (Reduktion, 800 bis 900° C). Der Glanzton "verbackt" dabei und behält seine schwarze Farbe auch während der abschließenden Phase der Reoxidation, wo in einer Abkühlphase die Abzüge des Ofens wieder geöffnet werden und der zuströmende Sauerstoff eine erneute Rotfärbung des Tongrundes erzeugt. Unsere Lekythos war wohl in der Nähe der Ofenwand neben einer undichten Stelle platziert, durch das Sauerstoff während der Reduktionsphase eintreten konnte und die vollständige Schwarzfärbung an dieser Stelle verhinderte. Die schwarzen Flecken auf der Fehlbrandstelle sind spätere flächige Abplatzungen; hier können wir also auf Ton blicken, der noch die dunkle Farbe des Tons während der Reduktion zeigt.

Veranstaltungshinweis:

Details der regulären oder fehlerhaften Herstellung von antiken griechischen Vasen wie im genannten Fall werden Ende April in einem Workshop unter dem Titel »Schicksale antiker griechischer Keramik: Neue Erkenntnisse zu Produktion, Handel und Gebrauch« an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften behandelt. Dieser Workshop, der im Rahmen des vom FWF geförderten Projekts »Griechische Vasen aus Wiener Universitätssammlungen des 9. bis 5. Jahrhunderts v. Chr.« stattfindet, wird von einer Ausstellung begleitet, die von 29. April bis zum 30. Juni in der Archäologischen Sammlung der Universität Wien besucht werden kann.

Downloads:

Literatur:

KENNER, H. (Bearb.): Corpus Vasorum Antiquorum Wien, Universität und Wien, Professor Franz v. Matsch. Bd. 1, München: Beck Verlag 1942, Taf. 13, 2. 3. Exemplare im Bestand der UB Wien
BEAZLEY, John D.: Attic Red-Figure Vase Painters. Oxford ²1963, 447, Nr. 272. Exemplare im Bestand der UB Wien
GUY, R: Dourian Literacy. In: BÉRARD, Claude | BRON, Christiane | POMARI, Alessandra (Hrsg.): Images et société en Grèce ancienne. L’iconographie comme méthode d’analyse. Actes du colloque International Lausanne 8–11 Février 1984. (= Cahiers d’archéologie romande 36) Université de Lausanne 1987, S. 223–225. Beitrag online verfügbar
NORDQUIST, Gullög C.: The Salpinx as an Instrument of Eros and Dionysos. In: Imago Musicae 8 (1991), S. 61–72.
BUITRON-OLIVER, Diana: Douris. A Master-Painter of Athenian Red-Figure Vases. Kerameus 9 (Mainz 1995), 87 Kat. O3, Taf. 130. Exemplar im Bestand der UB Wien
BENTZ, Martin | GEOMINY, Wilfred | MÜLLER, Marius (Hrsg.): TonArt. Virtuosität antiker Töpfertechnik. Petersberg: Imhof 2010. Exemplar im Bestand der UB Wien
SCHÖRNER, Hadwiga: Die Archäologische Sammlung der Universität Wien. Ihre Geschichte, Entwicklung und Bedeutung von der Gründung 1869 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf Basis der Schriftquellen. In: Mensch – Wissenschaft – Magie (= Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 32) 2016, S. 167–189 bes. 176f. Exemplare im Bestand der UB Wien

Attisch-rotfigurige Lekythos

Text: Dr.in Hadwiga Schörner, Österreichisches Archäologisches Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften | Fotos und Montage: Kristina Klein, Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien