Robert Brendel (1821–1898), Breslau um 1870, Modell No. 58
Holz, Papiermaché, Ölfarbe, Lack
Höhe: 43 cm
Aus der Historischen Sammlung des Fakultätszentrums für Biodiversität
„Die von Herrn Apotheker Lohmeyer auf Veranlassung des Herrn Professor Dr. Cohn mit größter Genauigkeit und Treue seit Jahren angefertigte, der Königl. Universität und der städtischen Realschule am Zwinger hierselbst dedicirte grosse Sammlung von botanischen Modellen hat sich als ein so überaus instructives Hilfsmittel bei dem botanischen Unterricht bewährt, dass bereits von mehreren andern Universitäten und Lehrinstituten der Wunsch, eben solche Sammlungen zu besitzen, dringend angeregt worden ist.- In Folge dessen habe ich, unterstützt durch geschickte, billige Arbeitskräfte, die Copirung der Lohmeyer’schen in die Hand genommen, werde die ganze Sammlung in mehreren Abtheilungen erscheinen lassen und offerire die erste Serie von 30 Blüthen-Modellen […] zum Preise von 20 Thlr. excl. Verpackung ab hier.“
Dies lässt uns Robert Brendel aus Breslau (heute: Wrocław, Polen) in einer Mitteilung von März 1866 wissen, die im gleichen Jahr in zahlreichen botanischen Zeitschriften abgedruckt wurde. Die angesprochene erste Serie der neuen Blütenmodelle enthielt auch gleich das hier präsentierte Modell der Herbstzeitlose. Was war unterdessen geschehen und führte zu dieser für den botanischen Unterricht fundamentalen Neuigkeit?
Carl Robert Brendel wurde am 5. Juli 1821 in Reichenbach im Eulengebirge (heute: Dzierżoniów, Polen) als Sohn des Sattlers und Wagenbauers Gottlieb Reinhold Brendel und dessen Ehefrau Johanna Eleonora, geb. Rummler, geboren und machte sich später als Fabrikant für Gummi- und Guttapercha-Waren in Breslau, Am Rathaus 15 (Riemerzeile), ansässig. Am 21. November 1854 heiratete er in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin Louise Helene Auguste Fonrobert (geb. Berlin, 08.08.1826; gest. Berlin,17.08.1884), das Paar hatte eine Tochter und einen Sohn: Auguste Julia Margarita (geb. Breslau, 02.10.1856) und Reinhold Brendel (geb. Breslau, 06.04.1862). Um das Jahr 1866 begann Robert Brendel damit, die Blütenmodelle des schlesischen Pharmazeuten Carl Leopold Lohmeyer (1799–1873), die dieser bisher unter der wissenschaftlichen Aufsicht des Botanik-Professors Ferdinand Julius Cohn (1828–1898) exklusiv für die Universität Breslau und die Realschule am Zwinger hergestellt hatte, kommerziell zu kopieren, da international mehrere andere Lehranstalten ebenfalls an diesen für den botanischen Unterricht neuartigen Lehrmitteln interessiert waren. Am 1. Mai 1866 gründete Brendel dafür seine Produktion botanischer Modelle und konnte bereits damals die erste Serie im Umfang von 30 Pflanzenarten zum Verkauf für 20 Taler anbieten.
Brendel-Modelle aus Breslauer Produktion besitzen einen Sockel aus hellem Obstholz, erst die späteren Berliner Modelle zeigen den typischen schwarz lackierten Holzsockel. Insgesamt dürften in Breslau, soweit derzeit bekannt, rund 65 verschiedene Blütenmodelle produziert worden sein; auf der internationalen Gartenbau-Ausstellung 1869 in Hamburg konnte Brendel schon 45 Blütenmodelle sowie Modelle von zehn landwirtschaftlichen, fünf Obst- und fünf Forstgewächsen zeigen. Modelle aus Breslauer Produktionszeit gelten international als absolute Raritäten, vielfach unterscheiden sie sich von den späteren Berliner Fertigungen gravierend in der Gestaltung. Dies lässt sich auch besonders schön an der Herbstzeitlose demonstrieren: Dargestellt wird immer die Blüte und der Wurzelschaft, beim Breslauer Modell stehen die Wurzeln aber – didaktisch etwas ungeschickt – nach oben, der Wurzelschaft kann von seiner Halterung abgenommen werden. Beim Berliner Modell sind die Wurzeln dann nach unten orientiert und der Wurzelschaft ist zerlegbar. Modelle aus Breslauer Fertigungszeit weisen immer auch grundlegend andere Produktionsnummern auf. So trägt die Herbstzeitlose zunächst No. 58, zu Berliner Produktionszeiten dann No. 56. Ein weiteres Beispiel gibt das untenstehende Bild: Das Modell des Farns Pteris serrulata (erworben von der Universität Wien im Dezember 1875) zeigt ein Breslauer Etikett mit Produktionsnummer 64 und einen hellen Obstholzsockel, die Geschäftsadresse wurde mit einem zusätzlichen Etikett (Robert Brendel, Berlin W, Kurfürstendamm) überklebt und damit aktualisiert. Spätere Berliner Modelle der Sporangien von Pteris serrulata tragen die Produktionsnummer 6.
Im Herbst 1873 übersiedelte Robert Brendel mit seiner Firma nach Berlin. Die neue Geschäftsadresse dort war Kurfürstendamm 101 im Berliner Stadtteil Charlottenburg. 1885 erschienen dann die ersten umfangreichen wissenschaftlichen Erläuterungen zu den botanischen Modellen von Robert Brendel, verfasst von Alexander Tschirch (1856–1939). Aus demselben Jahr hat sich an der Universität Wien auch ein (Preis)-Verzeichnis der botanischen Modelle erhalten, das interessante Einblicke in den damaligen Stand der Produktion gibt: In sieben thematischen Serien wurden Modelle von acht Kryptogamen, 16 "angebauten Pflanzen", sieben Obst- und Gartengewächsen, acht Forstgewächsen, neun Giftpflanzen, 45 Blüten und sechs insektenfressenden Pflanzen angeboten. Das teuerste Modell, die zerlegbare Sporenkapsel des Mooses Brachythecium rutabulum in 150facher Vergrößerung, kostete 50 Mark. Am 2. Jänner 1887 gründeten Robert und Reinhold Brendel die „Verlagsanstalt für Lehrmittel“, die nun neben botanischen Modellen aus eigener Fabrikation auch andere naturgeschichtliche Lehrbehelfe vertrieb. Im Jahr 1889 ging die Leitung des Unternehmens auf Reinhold Brendel über. Im Jahr darauf wechselte der Standort in die Ansbacherstraße 56 (im heutigen Stadtteil Berlin-Schöneberg) und 1895 in die Schillstraße 11 (heute: Berlin-Tiergarten). Ab 1. April 1897 wurde ein ganz neuer Standort in der Villenkolonie Grunewald, Bismarck-Allee 53 (spätere Nummer 37) bezogen. Am 22. Jänner 1898 starb Robert Brendel als Rentner im 77. Lebensjahr in Berlin. Reinhold Brendel verlegte nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1921 seine Verlagsanstalt nach Neumarkt in Schlesien (heute: Środa Śląska, Polen); die neue Geschäftsadresse lautete dort Constadtstraße 22. Ab 1925 wurde das Unternehmen von seinem Sohn Reinhold Hermann Brendel (geb. Berlin, 19.11.1892) geleitet; Reinhold Brendel sen. starb am 17. August 1927 im schlesischen Liegnitz (heute: Legnica, Polen). Dorthin verlegte Reinhold jun. nach 1930 auch die Verlagsanstalt für Lehrmittel (Geschäftsadresse: Feldstraße 26), die schlussendlich im Zweiten Weltkrieg vollkommen zerstört wurde. 1950 begann Reinhold Brendel jun. im Rahmen der Firma PHYWE (Physikalische Werkstätten AG) Göttingen erneut mit der Herstellung botanischer Modelle.
An der Universität Wien wurden 45 Modelle am ehemaligen Institut für Botanik in insgesamt schlechtem Zustand vorgefunden und seit 2014 aus Mitteln der DLE Bibliotheks- und Archivwesen professionell restauriert. Dieses Projekt konnte nun im November 2024 erfolgreich abgeschlossen werden. Zudem erhielt die Historische Sammlung 2021 aus den Beständen des ehemaligen Instituts für Pflanzenphysiologie weitere 22 Brendel-Modelle und verwahrt nun insgesamt 67 Modelle von Robert und Reinhold Brendel, davon 58 aus Breslauer Produktion. Das Pflanzenphysiologische Institut hatte im Dezember 1875 15 Modelle bei Brendel in Berlin gekauft (Acquisitions-Nummer 184), sie kosteten damals insgesamt 67 Gulden und 24 Kreuzer. Im Juni 1885 wurden nochmals vier Modelle – darunter die aufwändigen und teuren Anfertigungen aus Gelatine von Brachythecium und Cuscuta – zum Preis von 64 Gulden und 82 Kreuzern erworben. Fünf Modelle von Blütenständen (Schraubel, Wickel, Fächel und Trugdolde) erwarb das Institut für Pflanzenphysiologie schließlich im März 1899 für 19 Gulden und 20 Kreuzer. Die Provenienz der Modelle des Botanischen Institutes ist derzeit leider undokumentiert und unklar, möglicherweise wurden sie im frühen 20. Jahrhundert aus Beständen eines Gymnasiums oder einer Lehrerinnenbildungsanstalt übernommen.
ECHNER, Julia: Die Blütenmodelle der Firma Robert Brendel aus der Lehrsammlung des Instituts für Spezielle Botanik der Friedrich-Schiller-Universität Jena – Bestands- und Zustandserfassung, Erstellen eines Maßnahmenkonzepts. Unveröffentlichte Master-Thesis FH Erfurt 2018.
GRILLO, Remo / Morelli, Caterina / Rubano, Vincenzo / Vitali, Fabio: Social Good and Cultural Heritage: making the Brendel models accessible again. In: GoodIT '22 – Proceedings of the 2022 ACM Conference on Information Technology for Social Good, New York 2022. S. 191–197 Online verfügbar
MARTIN, Philippe: La collection Brendel de l’Université de Namur. Une autre façon de voir les plantes, les mycètes et les bactéries. (= Collection Patrimoines 20). Namur 2023. Exemplar im Bestand der UB Wien
MARTIN, Philippe: The Brendel collection of the University of Namur. Another way of looking at plants, fungi and bacteria. (= Collection Patrimoines 22). Namur 2024. Exemplar im Bestand der UB Wien
MAURIZI, Annalisa: La collezione Brendel di modelli di fiori ed altri organi vegetali dell’Università di Bologna. – Museologia scientifica, N.S. 4 (1/2), S. 105-110, Verona 2010. Online verfügbar
Text und Fotos: Mag. Matthias Svojtka | Restaurierung: Sonja Bulker. Mit herzlichem Dank an Michael Schätzlein (Helmstadt, D.) für wertvolle genealogische Hilfestellungen.