„Mann mit Nasenstab“
Zeichnung von Wilhelm Watzke (1871–1959) nach einer Fotografie von Paul Foelsche
Bleistift auf Papier
Maße: 37,5 x 49,5 cm
Signatur: ESKSA, B13A-16
Aus der Ethnographischen Sammlung des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie
Die große Aufgabe, die sich Ethnographische Sammlungen heute zu stellen haben, ist es, die in ihr bewahrten Objekte in ihren historischen, sozialen und kulturellen Kontexten einzuordnen. Viele dieser Objekte stammen aus kolonialen Zusammenhängen, in denen sie oft ohne umfassende Dokumentation oder aus einer eurozentrischen Perspektive erfasst wurden. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist das vorliegende Bild: eine Zeichnung nach einer historischen Fotografie, lediglich als „Mann mit Nasenstab“ erfasst. Der neutrale Gesichtsausdruck, die frontale Ausrichtung und der Bildausschnitt, der auf Kopf und Oberkörper beschränkt ist, weist große Ähnlichkeiten zu anthropologischen „Typenfotografien“ auf. Solche Bilder reduzierten die abgebildeten Menschen auf vermeintliche ethnische Merkmale und präsentierten sie nicht als Individuen, sondern als Vertreter einer bestimmten „Rasse“ oder „Kulturgruppe“. Die Namen der porträtierten Personen wurden meist nicht überliefert – sie wurden buchstäblich zu Objekten gemacht. Durch Nachforschungen zum Entstehungskontext des gezeigten Porträts konnte der Name des abgebildeten Mannes rekonstruiert werden: Es handelt sich um Billiamook, einen Angehörigen der Larrakia aus der Region um das heutige Darwin im australischen Northern Territory. Damit ist es möglich, nicht nur sein Bild, sondern auch einen Teil seiner Geschichte sichtbar zu machen und ihn als handelnde Person in der kolonialen Vergangenheit zu würdigen. Das Bild erzählt aber auch von der Geschichte des Wiener Zeichners Wilhelm Watzke und jener des deutschstämmigen australischen Polizisten und Fotografen Paul Foelsche.
Billiamook (auch Biliamook Gapal oder ‚Billy Muck‘) gehörte zu einen der ersten Indigenen, die mit den europäischen Siedler*innen in dieser Region in Kontakt kamen. 1870 wurden er und ein weiterer Mann namens Umballa an Bord des Schiffes "Omeo" nach Adelaide gebracht. Die beiden Aborigines sollten von der Größe und Stärke der Siedlung beeindruckt werden, damit sie ihre Leute davon überzeugen würden von Feindseligkeiten gegenüber den Siedler*innen abzusehen. Billiamook konnte während dieser Zeit rasch die englische Sprache lernen, in der er sich bald fließend verständigen konnte. Es wird ihm eine Vermittlerposition zwischen den Larrakia und der Siedlungsgemeinschaft von Darwin nachgesagt. Von seinem Zeitgenossen William Widley wird Billiamook als „a fine-made young man, bearing the scars of full manhood” (Harris 2008, S. 37) beschrieben. Im Jahre 1879 im Alter von vermutlich 27 Jahren wurde Billiamook von dem aus Hamburg stammenden australischen Fotografen und Polizisten Paul Heinrich Foelsche (1831–1914) porträtiert.
Foelsche trat im Alter von 18 Jahren in ein preußisches Husarenregiment ein, bevor er 1854 nach Australien auswanderte. Dort wurde er Polizist und wurde mit dem Aufbau einer Polizeistation in Port Darwin betraut. Er zeigte ein reges Interesse an den Larrakia, auch wenn seine Haltung zu den Verhältnissen der indigenen Bevölkerung eine recht abgekoppelte war. 1881 wurde ein von ihm verfasster Artikel „Notes on the Aborigines of North Australia“ vor der Royal Society of South Australia verlesen. Foelsche war darüber hinaus als früher Fotograf tätig und hielt Szenen aus dem Alltagsleben der Kolonisten fest. Zudem fertigte er eine Vielzahl von Porträts indigener Personen und Szenen aus dem Leben der Aborigines an, wie jenes von Billiamook. Mit vielen der von ihm porträtierten Personen war Foelsche vermutlich auch persönlich näher bekannt. Diese Fotos wurden in alle Welt verschickt – unter anderem an den deutschen Kaiser Wilhelm II. Die Fotos dienten dabei als Werbematerial zur Anwerbung neuer Siedler*innen und ethnographische Dokumentation zugleich.
Foelsches Interesse an den Larrakia blieb ein jedoch wissenschaftlich-distanziertes und hielt ihn nicht von der Durchsetzung brutaler Methoden ab. 1875 stattete er eine Gruppe von bewaffneten Männern aus, die einen Vergeltungsschlag gegen eine Gruppe von Aborigines durchführen sollte, nachdem ein Telegrafenbeamter ermordet worden war. Die Gruppe erschoss in dem von Foelsche als „n[…] hunt“ bezeichneten Ereignis 17 Aborigines. 1881 schrieb Foelsche (ohne Erfolg) an die Regierung, die Bestrafung und Gewaltausübung gegenüber ganzen tribes von Aborigines zu erlauben, da es unmöglich sei, einen individuellen Schuldigen unter der indigenen Bevölkerung zu stellen. Seine Bemühungen und Ansichten reflektieren eine allgemeine Frustration der Siedlerbevölkerung gegenüber dem indigenen Widerstand der kolonialen Aneignung des Landes (Reid 2008, S. 195–196). Wie genau Paul Foelsches Fotografie von Billiamook nach Wien gelangte, ist nicht geklärt. Hier wurde sie von Wilhelm Watzke als Teil einer Serie als Bleistiftzeichnung kopiert.
Der Maler Wilhelm Watzke (1871–1959), tat sich als technischer Zeichner hervor und war mit dem Kreis um Pater Wilhelm Schmidt SVD und den Steyler Missionaren persönlich bekannt. Während der 1920er Jahre wurde Watzke mehrfach beauftragt im Missionshaus St. Gabriel von P. Gusinde aus Feuerland und P. Schebesta aus dem Kongo mitgebrachte Objekte der dortigen indigenen Bevölkerung abzuzeichnen. Zudem wurden ihm durch Fritz Röck, dem ersten Direktor des Wiener Völkerkundemuseums Aufträge zuteil. Ein großer Auftrag über 80 Zeichnungen durch Röck, der von Gauleiter Baldur von Schirach ausging, wurde wegen der Kriegssituation und einer langwierigen Krankheit Watzkes nie vollständig an das Museum geliefert (van Bussel und Huber 2011, S. 95–96). Nach Kriegsende intervenierte P. Koppers bei der CARE-Mission der Alliierten für eine Unterstützung Watzkes, den er als ‚Institutszeichner‘ nennt (ESKSA, Archiv, UAW_S01_09). Am Institut befinden sich 17 von Watzkes Werken, die sich folgendermaßen zusammensetzen: Vier Porträts bedeutender Vertreter der damaligen Völkerkunde, eine Kopie des Gemäldes "The Historian" von Eanger Irving Couse (1866–1936), ein Porträt eines unbekannten Mannes in Farbe, eine Zeichnung von „Waldbehausungen“, sowie 10 Bleistiftzeichnungen von Nicht-Europäer*innen als Porträt oder Szene, darunter das Porträt Billiamooks.
Gerade die Zeichnung B13A-10: "Mann mit Nasenstab" nunmehr mit geklärter Identität, ist ein Beispiel für die Komplexität der beteiligten Akteure, die eng mit Wissenschaft, Kolonialismus und Kunst ihrer Zeit miteinander verwoben sind. Auf den ersten Blick mag das Porträt wie eine Typenzeichnung wirken. Auf den zweiten Blick offenbart sich hinter den Vernarbungen auf Brust und Armen, der durchstochenen Nase und dem untypisch etwas zur Seite geneigten Kopf der durchdringende stolze Blick des Mannes, der mit locker im Schoß gefalteten Armen geduldig auf die Aufnahme wartet. Beim dritten Mal hinsehen kann man schon ein wenig den ebenso typischen wie außergewöhnlichen Menschen erkennen, der neugierig auf Reisen geht, eine fremde Sprache lernt, um sich für seine eigenen Leute auszusprechen, mit den Kolonialherren kollaboriert und sich schließlich von der neuesten Technik der Zeit verewigen lässt. Die Provenienz des zugrundeliegenden Bildes bleibt weiterhin ungeklärt, was weitere Forschungen notwendig macht – sowohl in Bezug auf die Sammlungsgeschichte als auch auf die Wahrnehmung und Rezeption indigener Menschen in Europa.
Für uns als Ethnographische Sammlung sind diese Ergebnisse ein erster wichtiger Schritt zur Provenienzforschung und eine Chance zum Austausch mit aboriginal people in Australien. Denn, welche Bedeutung dieses Portrait und seine Geschichte für die Menschen vor Ort hat, müssen wir erst noch herausfinden. Ein wichtiger Schritt für die Sichtbarkeit und für einen möglichen Austausch mit Menschen aus aller Welt bietet das Teilprojekt „Kulturerbe digital“ des BMKÖS, bei dem viele Objekte und Fotografien aus unserer Sammlung digitalisiert und aufbereitet werden. Digitalisierung und Aufbereitung ohne Kontext bietet nur geringen Wert. Deshalb ist die Provenienzforschung der Schlüssel, um die Menschen hinter den Objekten, Zeichnungen und Fotografien kennenzulernen. Sonst bliebe Billiamook weiterhin der stereotype „Mann mit Nasenstab“. Billiamook und die anderen in unseren Sammlungen abgebildeten Menschen verdienen mehr.
van BUSSEL, Gerard / HUBER, Silvia: Indianer-Romantik, Völkerkunde und Volksbildung: Zeichnungen von Wilhelm Watzke. In: Amerindian Research. Zeitschrift für indianische Kulturen von Alaska bis Feuerland 6 (2) 2011.
HARRIS, John: Billiamook and Umballa. In: David CARMENT (Hg.): Northern Territory dictionary of biography, Vol 1. Rev. ed. Darwin: Charles Darwin University Press 2008, S. 37.
PLANKENSTEINER, Barbara: Das Museum für Völkerkunde in Wien 1938–1945. Ein Bollwerk nationalsozialistischer Weltanschauung? In: Andre GINGRICH und Peter ROHRBACHER (Hg.): Völkerkunde zur NS-Zeit aus Wien (1938–1945). Wien 2021, S. 551–584. Online verfügbar
REID, Gordon: Paul Heinrich Foelsche. In: David CARMENT (Hg.): Northern Territory dictionary of biography. Rev. ed. Darwin: Charles Darwin University Press 2008, S. 195–196. Online verfügbar
IKSA-Archiv: Institut für Ethnologie, A 1.1 Institut Allgemein Schachtel 1. UAW_S01_09
Text: Matthias Ziegner und Igor Eberhard | Fotograf: Wolfgang Kraus, Ethnographisches Datenarchiv (eda)